Lesereise Sizilien
schmeckt, wird dafür nach Europa importiert. Hinter den Booten der Fischer lauern schon die japanischen Schiffe mit Tiefkühlanlagen und werfen ein Salzgemisch auf die Fische. Dann verschwinden sie mit den sizilianischen Schiffen im Schlepptau Richtung Trapani, die Fischer kehren heim. Früher wurden sie von Jubel und einem Blumenmeer empfangen, heute kräht kein Hahn mehr nach ihnen.
Früher hatte jede Landzunge eine tonnara, eine Fischfanganlage. Man brauchte dazu einen Aussichtsturm, eine mit Mauern befestigte Bucht, dazu einen Boots- und Geräteschuppen und mutige Fischer. Die tonnara von Favignana war ein Musterexemplar, der Fang wurde einst in zehn Hallen verarbeitet. Heute sind die meisten verlassen, die Kosten waren einfach zu hoch.
Mit Matteo wird die Tradition des Thunfischjägers in seiner Familie wohl aussterben. Er hat zwar einen kleinen Jungen, Silvio heißt er, zwölf Jahre ist er alt. Doch Silvio will Meeresbiologe werden, oder Astronaut, oder vielleicht auch Dorfpolizist, aber auf keinen Fall will er wie sein Vater und die Männer der Generationen vor ihm gegen Thunfische kämpfen.
Die Tradition der mattanza hat auf Sizilien nur noch in Favignana überlebt, eigentlich mehr als Attraktion für Feriengäste. Eine lukrative. Früher gab es hier nur die tonnara, heute Hotels, Restaurants, ganze Feriendörfer. Und wenn die tapferen Männer heute aufs Meer hinausfahren, dann werden sie häufig von Extra-Booten mit Touristen begleitet. Die müssen freilich vorher unterschreiben, dass sie die Risiken eines möglichen Unfalls selbst tragen, denn gefährlich bleibt das Schauspiel allemal …
Die Schöne und das Biest
Taormina und Catania
»Falls jemand nur einen Tag in Sizilien verweilen könnte und mich fragen würde: ›Was muss ich gesehen haben?‹, würde ich ohne zu zögern antworten, Taormina. Dieses Dorf ist ein Gemälde, aber eines, auf dem man alles gemalt findet, was dazu angetan ist, auf Erden unsere Augen, unseren Geist, unsere Fantasie zu verführen.« So schwärmte der französische Schriftsteller Guy de Maupassant von Siziliens schönem Vorzeigedorf auf dem Felssporn hoch über dem Ionischen Meer – hier glänzt Sizilien. Die Straßen sind blitzsauber, die Häuser gepflegt, mit üppig überquellenden Blumenkästen. Die Mauern pittoresk umrahmt von Bougainvilleen, die palazzi bis ins Detail durchsaniert, die Kirchentüren bleiben über die Siestazeit geöffnet, revolutionär!
Sogar die Sizilianer passen ins Bild. Schick, gepflegt, wohlgenährt, bestens angezogen und frisiert. Fahnen vor Andenkenläden, teure Boutiquen mit berühmten Namen haben sich in den altehrwürdigen palazzi eingekauft, in den Auslagen Modellkleider, Pelze, Marzipanfrüchte. Jeder Quadratzentimeter wird gewinnbringend genutzt. Platz ist Geld hier in Taormina. Keine Blechlawine quält sich durch die Hauptstraße, nicht ein einziges Auto im Mir-doch-egal-ich-habe-eine-Sondererlaubnis-Italien fährt durch die Fußgängerzone.
Der Corso Umberto I verläuft leicht bogenförmig zwischen den Stadttoren Porta Messina und Porta Catania. Er ist die Flaniermeile, ein Souvenirladen klebt am anderen, Schnellimbiss, gelaterie, Cafés, in denen ein cappuccino so viel kostet wie anderswo eine Portion spaghetti. Auf der Aussichtsterrasse Piazza IX Aprile klicken Kameraverschlüsse und Handycams, pausenlos. Zwischen Oleanderbäumen spielen Kinder Fußball, auf der piazza mit dem charakteristischen Uhrturm treffen sich alte Männer zum Plausch, völlig unbeeindruckt von einer Reisegruppe nach der anderen, die an ihnen vorbeizieht, in T-Shirts und kurzen Hosen, Handy am Ohr oder am Auge. Taormina ist fest in der Hand von Pauschaltouristen. Sogar für Erfrischung für die erschöpften Stauner und Shopper ist gesorgt, eine Seilbahn verbindet das Stadtzentrum mit Mazzaro, dem nächstgelegenen Badeort. Allerdings liegt der Küstenabschnitt an der viel befahrenen Wasserstraße von Messina, dementsprechend ist die Wasserqualität. Und so schlendert man fasziniert und irritiert zugleich durch die Postkartenidylle und fragt sich irgendwann: Ist das wirklich Sizilien?
Jedenfalls ist dieses Städtchen der meistbesuchte Ferienort der Insel. Schon im letzten Jahrhundert war Taormina das Ziel begüteter Urlauber. Bis zur Nachkriegszeit tummelten sich Elitetouristen in Taormina, danach änderten sich die sozialen Verhältnisse und somit auch der Tourismus. Im Hochsommer zählt man über hundertfünfzigtausend Übernachtungen, bei einer
Weitere Kostenlose Bücher