Lesereise Sizilien
Totenkult, doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschafften sich Privilegierte durch Einzelgenehmigungen wieder Zutritt ins Reich der Unterwelt. 1920 machte man eine Ausnahme mit der heiligen Rosalia, die wie ein schlafendes Kind in ihrem Sarg liegt.
Im malerischen Savoca gibt es eine weitere Variante der Gruselattraktion, hier grüßt die Dorfprominenz unter der Erde. Ein naiver Versuch, den Tod lebendig zu machen, ihm die Endgültigkeit zu nehmen, indem man ihn spüren, sehen und riechen kann. Empfindlichen Naturen sei zu Vorsicht geraten. Es ist nicht so sehr der Anblick, der sich in die Erinnerung gräbt, es ist der Geruch, der bleibt. Noch Jahre, nachdem man den Herrschaften seine Aufwartung gemacht hat, bleibt dieser süßliche Geruch irgendwie jederzeit abrufbar in der Nase.
Wenn die Winterstürme durch die Felsnekropole von Pantalica heulen, dann rufen die Toten, sagt man auf Sizilien. Etwa 1200 vor Christus rammten Sikuler die mehr als fünftausend Grabkammern in die Felsen der Iblei-Berge. Lange wurden sie nicht als Grabstätten genutzt; als Syrakus in voller Blüte stand, versank die Nekropole in der Bedeutungslosigkeit und diente den Bewohnern als Schutz vor Seeräubern, Bomben, Erdbeben. Richtig gruselig sind die schwarzen Löcher im mächtigen, unzugänglichen Fels dennoch. Wie Augenhöhlen starren sie aus dem Berg, wohin man auch blickt. Als wollten sie fragen, wann sie denn mal wieder gebraucht würden.
Der Tod hat keinen Schrecken auf Sizilien, selbst Friedhöfe werden mit ins Leben eingebunden. Man trifft sich dort, bespricht sich im Kreis der Ahnen, packt auch schon einmal die Brotzeit aus. So werden die Verstorbenen auch nicht mit einfachen Grabsteinen beerdigt, sondern so prunkvoll, wie es die finanzielle Lage eben zulässt. Zwischen Schatten spendenden Palmen stehen Grabmäler, groß wie Mausoleen, gewagte Konstruktionen aus Schmiedeeisen, zieren lebensgroße Fotos Verstorbener Marmorsäulen, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Schon früh lernt der Sizilianer, dass die Gruft keine Endstation ist: Alljährlich, am 2. November zum Totenfest, besuchen die Toten die Kinder und legen in der Nacht Geschenke und Süßigkeiten vor Fenster und Türen. Und wenn’s doch mal so richtig ernst wird mit Tod und Teufel, greift man zu altbewährten Mitteln, man bekreuzigt sich, streckt Luzifer und Co. Heiligenbilder oder Hörner entgegen und ist gerade gar kein Hilfsmittel greifbar, krümmt man zur Abwehr zwei Finger.
»O sole mio«
Solche und solche Badefreuden an Siziliens Stränden
Wir haben einen kleinen Fiat Punto gemietet, blitzblau, rechts eingebeult, links angeschrammt – der Verkehr auf Sizilien hinterlässt eben Spuren. Luftmatratze, Sonnenschirm, Liegestuhl, Badetaschen, es ist ein bisschen eng in dem kleinen Auto. Wir kurbeln die Fenster runter und halten die Ellbogen an die Luft. Es ist ein blitzblauer Sommermorgen, es wird heiß und wir sind auf dem Weg zum Strand. Geheimtipp. Ein steiniger Schotterweg führt von der Straße runter Richtung Meer. Das Auto hüpft, holpert, tanzt und dann liegt sie vor uns: eine kleine Sandbucht mit türkisblauem Wasser, das in kleinen Wellen an den Strand gluckst, paradiesisch schön. »Unglaublich«, freut sich mein Freund und zerrt das Gepäck aus dem Wagen. Unglaublich, aber wahr: Wir sind die einzigen Badegäste hier. Zumindest jetzt. Gerade haben wir uns ausgebreitet, eingecremt, die Zehenspitzen ins Wasser gehalten und von der einzigartigen Ruhe geschwärmt, da knirschen auch schon die Steine hinter uns. Sie kommen. In Scharen. Sizilianische Großfamilien mit Sack und Pack, Jugendliche mit CD -Playern und sogar Touristen, unverkennbar an ihrem Dresscode. Bald bleibt nicht mal mehr so viel Platz, um mit einer Kinderschaufel ein Loch graben zu können. Ölsardinengefühle. Von wegen Geheimtipp …
Für Kenner ist ohnehin klar: An die schönsten Strände kommt man nur auf dem Wasserweg und – für einen reinen Strandurlaub gibt’s bessere Adressen am Mittelmeer …
Im Sommer vergeben die Kommunen Lizenzen an kommerzielle Unternehmen, die die größten Strandabschnitte mit Sonnenschirmen, Liegestühlen, Umkleidekabinen, Sanitäranlagen und Strandlokalen für die pizza capricciosa zwischendurch ausstatten. Meist fällt ein Eintritt an. Dafür müssen die Betreiber den Strand sauber halten.
Wenn die Temperaturen steigen, stapeln sich dann Sizilianer und andere Badelustige zu Tausenden an den paar Stränden, die es gibt. Wer zu spät kommt, weiß
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