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Lesereise Sizilien

Lesereise Sizilien

Titel: Lesereise Sizilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie John
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überbringen: Wird ein Mafia-Ermordeter mit einem Stein im Mund aufgefunden, bedeutetet dies, dass er wohl zu viel geplaudert hat und deswegen sterben musste, stehen Schuhe auf seiner Brust, wollte er fliehen. Der legendäre abgetrennte Pferdekopf gilt als deutliche Warnung, ein ausgebranntes Auto lässt ebenfalls nichts Gutes erahnen.
    Auf den Märkten lernt der aufmerksame Beobachter am besten das Einmaleins der Gesten. Ein kurzes Heben der Brauen, des Kinns, ein Schnalzen der Zunge, die Handflächen offen, die Daumen am Finger, bedeutet beispielsweise, dass der Preis auf gar keinen Fall akzeptiert wird. Fasst sich ein Sizilianer plötzlich ungeniert an sein Geschlecht, bedeutet dies nicht etwa, dass er unehrenhafte Absichten hegt, sondern dass ein Leichenwagen an ihm vorbeigefahren ist. Mit der Kraft des Lebens gegen den Tod. Will Ihnen jemand Böses, schenkt er Ihnen den Wein mit der linken Hand ins Glas. Damit wünscht man Unglück, sagen die Sizilianer.
    Und noch ein praktischer Gebärdentipp für Autofahrer: Kommt Ihnen ein Fahrzeug entgegen mit Insassen, die Ihnen ein mit den Fingern geformtes V entgegenstrecken, bedeutet das nicht etwa, dass deren bevorzugter Fußballverein gewonnen hat, sondern dass eine Polizeikontrolle in der Nähe ist.

Mezzogiorno
Italiens Armenhaus
    Salvatores ganzer Stolz ist ein schweres Motorrad, mit dem er in jeder freien Minute über die staubigen Straßen brettert. Das hat er sich als Pizzabäcker in Bozen verdient. Drei Jahre hatte er den Job in der Pizzeria Taormina, den ihm ein Bekannter eines engen Freundes seines Onkels vermittelt hatte, dann war’s vorbei. Die Pizzeria Taormina machte Konkurs, musste schließen und Salvatore wurde zurück in die Heimat geschickt. Zwei Jahre ist das nun schon her und einen neuen Job hat er immer noch nicht gefunden. Aber er hat ja noch sein Motorrad.
    Der Süden war schon immer das Armenhaus Italiens und das ist bis heute so geblieben. Terroni, dumme Bauern, werden die Süditaliener von ihren Brüdern im Norden verächtlich genannt. Das erwirtschaftete Bruttosozialprodukt ist nicht halb so groß wie das der Lombardei. Die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordhöhe, besonders bei den Jugendlichen. Auch heute noch ist für viele Sizilianer die Emigration der einzige Ausweg. Mittlerweile leben über eine Million Sizilianer in Norditalien und jenseits der Staatsgrenzen. Das Nord-Süd-Gefälle wird mit jedem Jahr stärker, Ursachen für wachsende Ressentiments zwischen der Bevölkerung und Wasser auf den Mühlen eifriger Sezessionisten. Auch innerhalb Siziliens gibt es ein Wirtschaftsgefälle zwischen den eher wohlhabenden Küstenregionen und dem bitterarmen trockenen, weiten Inselinneren, wo Tagelöhner noch für eine Handvoll Euro im Einsatz sind. Es ist nicht so, dass die Regierung tatenlos zusehen würde. In den fünfziger Jahren wurde beispielsweise die Cassa del Mezzogiorno gegründet, eine Art Entwicklungshilfebank für den Süden. Jahrelang wurden Milliarden nach dem Gießkannenprinzip über dem Süden ausgegossen und versickerten in dunklen Kanälen. Die Industrieprojekte brachten übelste Umweltverschmutzung, jedoch kaum Arbeitsplätze. Der erwirtschaftete Gewinn wanderte auf Konten nach Mailand oder Turin ab. Einen weiteren Teil der Entwicklungshilfe rissen Politiker an sich, um damit ihren Wahlkampf zu finanzieren. Inzwischen gibt es ein Zusatzgesetz, das vorschreibt, dass die Gelder direkt und zielgerichtet an die Regionen zu zahlen sind.
    Zu den Hauptstützen der sizilianischen Wirtschaft gehört die Landwirtschaft. Dort arbeiten weit mehr Menschen als im Rest Italiens. Doch auch hier gibt es Probleme. Sechs Monate Sonne freuen den Touristen, trocknen jedoch die Flüsse aus, lassen die Ernte verdorren. Das größte Risiko ist das Wasser, Statistiken zufolge wiesen die letzten Jahre im Vergleich zu den fünfziger Jahren nur noch die Hälfte der Niederschlagswerte auf, die Pegel der Flüsse sinken kontinuierlich. Und auch die Konkurrenz schläft nicht: Noch bis vor Kurzem kamen neunzig Prozent der Zitronen Italiens aus Sizilien. Doch seit Ende der neunziger Jahre macht Siziliens Zitrusfrüchtehändlern ein Abkommen zu schaffen, das zwischen Marokko und der EU geschlossen wurde, wonach Marokko zollfrei Zitrusfrüchte liefern darf. Damit wurde Sizilien die Lebensader abgeschnitten. Viele Zitrusbauern fällten ihre Bäume, mussten sich umschulen. Doch in der Not ließ man sich etwas einfallen: Es wurde eine neue, chromglänzende Saftmaschine

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