Lesereise Tschechien
Veranstaltungsprogramm gearbeitet, das jetzt schon einen stattlichen Umfang hat. Der Kultursommer zum Beispiel bietet Rock, Jazz und klassische Konzerte (alles Open Air) ebenso wie Feuerwerke, Kindervergnügungen, Märchentage, Straßentheater und historische Abende.
Der Höhepunkt des Jahres sind jeweils Anfang September die Taborer Begegnungen (Táborská setkáni) – mit Festparade, Fackelzug und einer nachgestellten Schlacht. Auf einem altböhmischen Jahrmarkt tummeln sich Händler, Handwerker und Gaukler, es tritt der Feldherr Jan Žižka auf, und selbstverständlich fließt das tschechische Bier in Strömen. Man kann auch Denkmäler besichtigen und in die unterirdischen Gänge steigen.
Man hat noch nichts davon gehört, dass die Akteure dabei auch die Seitenlinien der hussitischen Glaubenskämpfe verfolgt hätten, bis hin zu den Adamiten und Pikardisten. Dies waren Mitglieder von Sekten, die außer der radikalen Abkehr vom Katholizismus auch die Hinwendung zur freien Liebe propagierten, teilweise orgiastische Feste feierten und nackt herumliefen. Žižka, der Schreckliche, vertrieb sie aus Tabor und ließ sie lynchen.
Lichte Weite
Der Streit um den Erhalt der famosen Villa Tugendhat in Brünn
Häuser haben ihre Schicksale, so wie Bücher. Diesem hier war übel mitgespielt worden, man konnte das gleich sehen. Wenn man in früheren Jahren am Zaun auf der Straße die Stunde des Einlasses erwartete, erfasste der schlendernde Blick vermooste Fugen und verrostete Gittergestänge, Risse und Regenflecken im Putz, gesprungenes Holz. Alles hatte indes nicht den Charme des Gealterten, Geachteten, vielmehr waren es Verwilderung und Verwahrlosung, die diesem einst so sehr auf die Gediegenheit seiner Oberflächen berechneten Gebäude in sieben Jahrzehnten zugesetzt hatten. Im Garten gaben Baumschösslinge und Grasbüschel das gleiche Bild ab. Und am Gebäudebestand der Nachbargrundstücke signalisierten überwucherte Dachtraufen, knallfrische Farbfassaden und Firmenschilder auf Englisch, dass man sich hier in einem ehemaligen Villenviertel befand, das seine neue Bestimmung in der postkommunistischen Gegenwart noch nicht gefunden hatte.
Haus Nr. 45 in der Černopolní ulice in Brünn ist die Villa Tugendhat, die jeder Architekturstudent als ein epochemachendes Meisterwerk des Funktionalismus kennt. Seit 2001 ist sie bei der UNESCO als Teil des Weltkulturerbes registriert. Als Ludwig Mies van der Rohe, der Apologet des »Less is more«, das formidable Einfamilienhaus 1930 fertiggestellt hatte, da schwärmte bald danach der Bauherr, der Brünner Textilindustrielle Fritz Tugendhat: »Wenn ich diese Räume und alles, was sich darin befindet, auf mich als Ganzes wirken lasse, dann sehe ich deutlich: Dies ist Schönheit, dies ist Wahrheit.« Seine Ehefrau Grete stand nicht zurück: »Wir wohnen sehr gern hier, sodass wir uns nur schwer zu einer Reise entschließen können und uns befreit fühlen, wenn wir aus engen Zimmern wieder in unsere weiten, beruhigenden Räume kommen.«
Man kann dergleichen noch immer nachempfinden, wenn man im Tross der Fremdenführerin mit nylonblauer Schuhverkleidung auf Travertin das Wohngeschoss betritt. Weite ist ein viel zu enges Wort für diese Dehnung und Erhellung des Raumes mittels einer dünnen Wand aus marokkanischem Onyx und einer Außenfront aus Glas, die in suggestiver Stufung zwanglos in den Wintergarten, den kleinen Park, den Hang, die ganze Stadt hinüberleitet. Doch nimmt das überwältigte Auge nicht nur in der Ferne die Kathedrale auf dem Hügel wahr, sondern auch die ältelnden Hochhäuser im Mittelgrund. Und wenn die Fremdenführerin früher, um eine der vielen technischen Finessen des Bauwerks vorzuführen, die große Glaswand zur Terrasse in die Versenkung schickte und das Gezwitscher der Vögel hereinließ, dann kam auch der Rost am Fensterrahmen in den Blick. Farbe blätterte ab, in einer Glaspartie war ein Riss mit Streifen verklebt. Und in der Bibliothek, wo im Regal noch die Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure in alten Jahrgängen gebunden steht, hatte Sickerwasser an der Decke Schorf geworfen.
Hier tat Restaurierung not, das sah ein Blinder. Und weil das Haus darauf so viele Jahre vergeblich warten musste, entbrannte darum ein hochpolitischer Streit. Der Brünner Oberbürgermeister Roman Onderka versuchte immer wieder, ihn zu entschärfen, um seine mährische Metropole vor einer internationalen Blamage zu bewahren. Zum Beispiel empfing er im Jahr 2007 zum
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