Lesley Pearse
Seine jetzige Position als Aufseher auf einer Baumwollplantage konnte sie ihm noch weniger erklären als seine Arbeit in der Bar.
»Es gab wirklich einen Mann, aber er ist fortgegangen«, antwortete sie schlicht. »Er hat sich nicht als derjenige entpuppt, für den ich ihn gehalten hatte.«
Giles schwieg für einen Moment, nahm ihren Arm und führte sie über die geschäftige Straße. »Nur wenige von uns zeigen sich den anderen Menschen, wie wir wirklich sind«, entgegnete er schließlich. »Manchmal verstecken wir unsere Persönlichkeit oder geben vor, jemand anders zu sein, und außerdem verändern wir uns genau wie die Umstände.«
»Sie nicht«, gab Matilda zurück. »Sie sind immer noch derselbe, den ich vor fast drei Jahren kennen gelernt habe.«
»Das stimmt nicht«, widersprach er mit einem Seufzer. »Ich war damals unerfahren und ein wenig zu sehr von mir eingenommen. Seitdem hat sich auch mein Glaube verändert, ich zweifle mehr und habe mich an schreckliche Anblicke in den Slums gewöhnt. Und schau dich selbst an, Matty. Du bist auch nicht mehr dieselbe, die wir in der Oxford Street aufgesammelt haben.«
»Darüber bin ich sehr froh.« Matilda grinste. »Ich war ein kleiner Satansbraten. Hätten Sie je gedacht, dass ich damals meine Schmerzen übertrieb, damit Sie mir einen Shilling geben würden?«
Giles lachte laut los. Seine Augen funkelten, und er sah plötzlich sehr jungenhaft aus. »Gott sei Dank habe ich ihn dir nicht angeboten, sonst wärst du bestimmt sofort auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Was ich meinte, ist, dass sich deine Bedürfnisse seitdem verändert haben. Damals genügte es dir, Blumen zu verkaufen, um deine Familie mit Essen zu versorgen. Darüber hinaus hast du nichts vom Leben erwartet. Was sind denn heute deine Ziele?«
Diese Frage ähnelte so sehr derjenigen, die Flynn ihr damals im »Tontine Kaffeehaus« gestellt hatte. Matilda dachte einen Moment nach. »Wenn ich alt bin, möchte ich zurückblicken und wissen, dass sich mein Leben gelohnt hat.«
»Heißt das, dass du eine Stellung haben möchtest oder Reichtümer oder eine gute Mutter für ein halbes Dutzend Kinder sein willst?« Giles war sichtlich amüsiert über ihre Antwort.
»Ich glaube, ich möchte all diese Dinge«, erklärte Matilda. »Aber hauptsächlich wünsche ich mir, dass ich das Leben anderer Menschen zum Guten verändert haben werde.« Sie dachte einen Moment nach. Nein, sie hatte ihren Wunsch noch nicht richtig ausgedrückt, erkannte sie und versuchte es noch einmal. »Als ich Sie überredet habe, Cissy und Peter mit ins Heim zu nehmen, habe ich das Leben der beiden verändert.«
»Das hast du tatsächlich, Matty«, stimmte Giles ihr zu. »Das ist ein sehr bewundernswertes und hehres Lebensziel. Behalte es in deinem Herzen, und vergiss es niemals. Lass mich dich wieder lachen hören, verscheuche den Mann aus deiner Erinnerung, wenn er der Falsche war, und wage einen Neuanfang. Das Leben ist zu kurz, um es die meiste Zeit traurig zu verbringen.«
Sie wusste, dass er Recht hatte, aber sie wünschte, jemand könnte ihr erklären, wie sie den Mann, den sie liebte, aus ihrem Herzen reißen sollte. Sie hatte das Gefühl, dass sein Bild für alle Zeiten dort verewigt sein würde.
Später im Jahr wütete ein Feuer in der Gegend um die Wall Street. Glücklicherweise begann es einige Straßen nördlich der State Street, wo die Milsons wohnten, und breitete sich in Richtung Hafen aus. Aber die Flammen verzehrten die letzten holländischen Handelsgebäude, Kaufhäuser aus Holz und Seemannsunterkünfte. Es war ein fürchterlicher Anblick. Der schwarze, ätzende Rauch und die graue Asche versetzten Lily in Angst und Schrecken.
»Hilf mir, Giles zu überreden, nach England zurückzukehren«, bat sie Matilda, als sie gerade zusammen mit Putztüchern gegen die Asche kämpften, die sich im ganzen Haus verteilt hatte. »Ich kann so nicht leben, wenn ich nicht weiß, wann die nächste Katastrophe auf die Stadt niederkommen wird.«
Matilda sehnte sich zu diesem Zeitpunkt selbst sehnlich nach England zurück. Sie hatte gerade einen Brief von Dolly erhalten, in dem sie geschrieben hatte, dass die Gesundheit ihres Vaters dahinschwand. »Ich werde es versuchen«, versprach sie.
Lily umarmte sie impulsiv, und ihr kleines Gesicht hellte sich auf. Sie schien Matildas Überzeugungsfähigkeiten uneingeschränkt zu vertrauen. »Oh, Matty, stell dir doch nur vor, wie wunderschön es wäre, auf dem Land spazieren zu gehen, die
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