Lesley Pearse
nach Oregon zu kommen.«
»Stellen Sie sicher, dass Ihre Tochter nicht vom Wagen springt, wenn er rollt«, brummte er und schaute zu Tabitha hinüber, die mit Treacle spielte, dem Hund, den Matilda ihr geschenkt hatte. »Ich möchte Sie ungern beunruhigen, aber ich habe schon Kinder gesehen, deren Beine von den großen Rädern zerschmettert wurden. Seien Sie also vorsichtig.«
»Das werde ich«, stimmte sie zu. Solomon hatte sie schon auf diese Gefahr hingewiesen.
»Und seien Sie nicht zu stolz, um Hilfe zu bitten, wenn etwas schief geht«, fuhr er fort, hob die Hand an seinen Hut und grinste sie an. »Was ich allerdings bisher von Ihnen gesehen habe, verrät mir, dass Sie sich damit etwas schwer tun.«
Sie war sich nicht sicher, ob dies ein Kompliment sein sollte oder nur sein üblicher Sarkasmus, aber sie wollte sich sein Wohlwollen nicht gleich verscherzen. »Ich bin nicht zu stolz, um einen guten Rat anzunehmen«, erklärte sie und lächelte zuckersüß. »Ich werde Ihre Worte in Erinnerung behalten, Captain Russell.«
Matilda und Tabitha saßen auf dem Bock, hielten die Zügel fest in der Hand und warteten abfahrbereit auf das Startsignal, als die Treagars in ihrer Kutsche vorfuhren.
»Ich habe euch etwas zu essen zubereitet«, rief Mrs. Treagar und hielt einen Korb hoch. »Ein schönes, großes Huhn, Schinken und gekochte Eier. Das sollte für die ersten Tage reichen.«
Sie kletterten aus ihrem Einspänner und kamen zu Matilda herüber. »Ich habe hier einen Koffer mit Medizin dabei«, sagte der Doktor. »Laudanum, Chinin und Hirschhorn gegen Schlangenbisse, Zitronensäure gegen Skorbut und eine Menge anderer Medikamente. Ich habe alle Fläschchen beschriftet, damit ihr wisst, wogegen ihr die Medizin einsetzen könnt. Geht sicher, dass ihr Schnitte und Schürfwunden mit Salzwasser auswascht und sie abdeckt, bis sie geheilt sind. Wenn alle Menschen sich an diesen Rat halten würden, wäre ich beinahe meinen Job los.«
Er hatte Matilda bereits ein kleines Buch über Behandlungsmethoden geschenkt, und sie war überzeugt, jetzt besser ausgestattet zu sein als die meisten Leute im Treck.
»Ihr müsst unbedingt die ganze Zeit Sonnenhüte und Handschuhe tragen«, mahnte Mrs. Treagar und sah ängstlich zu Tabitha hinüber, wahrscheinlich weil sie bemerkt hatte, dass ihr Haar noch nicht gekämmt war. »Sonst seht ihr bei eurer Ankunft in Oregon aus wie Feldarbeiter. Schreibt uns bald, ja? Wir leiten alle Briefe an euch zu den Duncans weiter.«
»Ich werde nie vergessen, wie gut Sie zu uns waren«, meinte Matilda mit einem Kloß im Hals. »Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.«
Mrs. Treagar umarmte sie herzlich und flüsterte ihr ins Ohr, sie hoffe, Matildas Schmerz würde bald vergehen. Dann trat sie einen Schritt zurück. »Und vergesst ja nicht, euch immer wie Ladys zu benehmen«, erklärte sie wieder mit ihrer üblichen Förmlichkeit. »Du musst ein gutes Beispiel für Tabitha geben. Lily und Giles haben dir ihre Tochter anvertraut. Du solltest immer an ihre starken religiösen Überzeugungen denken und sicherstellen, dass Tabitha ihre Gebete spricht und in der Bibel liest.«
Zu Matildas Erleichterung wurde jegliche weitere Predigt durch Captain Russell verhindert, der das Startsignal gab. Sie küsste die Treagars, und gemeinsam mit Tabitha sprang sie, gefolgt von Treacle, wieder auf den Wagen.
Matilda berührte den Leitochsen mit der Peitsche, genau wie Solomon sie angewiesen hatte, und das Tier verfiel in einen gemächlichen Schritt, während die anderen ihm gehorsam folgten. Als die Räder sich in Gang setzten, seufzte Matilda erleichtert auf.
»Leben Sie wohl«, rief sie und winkte. »Wir werden Sie nie vergessen.«
In den ersten Stunden kamen sie gut vorwärts. Der Pfad entlang des Flusses war bereits durch die früheren Trecks geglättet, und die Ochsen trotteten hinter dem ersten Wagen her, ohne geführt werden zu müssen. Die Frühlingssonne schien angenehm warm auf ihre Gesichter, und abgesehen vom Rollen der Räder, herrschte beruhigende Stille. Doch so schön es war, hier bei Tabitha zu sitzen und die schmerzhaften Erinnerungen bei jeder Meile weiter hinter sich zu lassen, so genau wusste Matilda auch, dass ihre zukünftige Sicherheit und ihr Überleben allein von ihr selbst abhingen.
Größer als ihr Kummer, von alten Freunden Abschied zu nehmen, war ihre Furcht vor dem, was sie erwarten würde. Auch hatte sie Angst, Tabitha von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Allein die
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