Lesley Pearse
überlegte sie später in dieser Nacht – die Luft mochte besser sein, aber friedvoll war es im Camp sicherlich nicht.
Manche der Männer hatten sich von den Soldaten anstecken lassen und sich mit Whisky betrunken. Die Geräusche, die Matilda hörte, brachten sie geradewegs zurück zum Finders Court. Kämpfende Männer, Gesang, Geschrei von Frauen, Kinderweinen und Hundegebell. Sie hörte sogar, wie manche Paare sich in den Wagen liebten, schweres Atmen und das Ächzen der Räder verrieten sie.
Plötzlich ging Matilda auf, dass das Leben mit den freundlichen und kultivierten Milsons sie in dem Glauben gewiegt hatte, ihre Lebensweise sei typisch für ganz normale Menschen gewesen. Die Wahrheit sah jedoch ganz anders aus. Sie waren in jeder Hinsicht ungewöhnlich gewesen. Hier hörte sie, wie sich die meisten Menschen auf der ganzen Welt nach ein paar Drinks verhielten, unabhängig von Klasse, Bildung oder Stand. Und wenn sie für sich und die Kinder ein gutes Leben in Oregon aufbauen wollte, musste sie aufhören, sich nach dem wohl geordneten Leben mit den Milsons zurückzusehnen. Stattdessen sollte sie in ihre eigene Vergangenheit eintauchen und nach Erfahrungen suchen, die ihren Charakter geprägt hatten, und ihn weiter ausbilden.
»Sie scheinen die Einzige zu sein, die das Fort unbedingt hinter sich lassen möchte«, bemerkte Captain Russell am Tag ihrer Weiterfahrt zu Matilda. Sie hatte bereits die Ochsen eingespannt und rieb gerade die Wunde eines der Tiere mit Salbe ein. »Warum haben Sie uns gestern Nacht nicht Gesellschaft geleistet, als wir gefeiert haben?«
»Mir ist momentan nicht nach Tanz und Gesang«, antwortete sie, verschloss die Flasche mit der Salbe wieder und rieb sich die Hände an einem alten Tuch ab.
Er lehnte sich gegen eines der Räder und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie hätten wenigstens zusehen können«, meinte er und betrachtete ihr Gesicht. Ihre Augen waren gerötet, und er vermutete, sie hatte die ganze Nacht über geweint. »Oder Sie hätten mit den anderen Frauen sprechen können. Sie tun sich mit Ihrer unterkühlten Art keinen Gefallen.«
Sie wollte gerade erwidern, dass auch er recht kühl reagiert hatte, als sie ihm eine einfache Frage gestellt hatte. Allerdings würde er dann wissen, dass sie sich um ihn Gedanken machte. »Ich nehme nicht an diesem Treck teil, um Freunde zu finden.«
»Aber Sie werden Freunde brauchen, wenn wir in den Bergen sind«, beharrte er. »Und wenn Ihr Baby kommt.«
»Ich werde schon zurechtkommen, Captain.«
»Mr. Jennings muss ein äußerst ungewöhnlicher und starker Mann gewesen sein«, stellte er nachdenklich fest.
»Warum sagen Sie das?«, gab Matilda erschrocken zurück.
Sein durchdringender, kühler Blick schien in ihr Inneres sehen zu können. »Nun, Ma’am, sogar nach seinem Tod und all den Meilen, die wir bereits gereist sind, hält er Ihr Herz so fest, dass Sie keinen anderen Menschen brauchen. Ich hatte niemals eine solche Macht über eine Frau. Erzählen Sie mir von ihm.«
Eigentlich wollte Matilda ihm eine bissige und sarkastische Antwort geben, aber als sie zu ihm hochsah, bemerkte sie keinen Spott, sondern nur Interesse in seinen Augen.
»Er war nicht auf die Weise stark, wie Sie es sind«, erklärte sie, indem sie den Kopf schüttelte. »Er war ein Mensch, der sich um die Sorgen anderer kümmerte und Elend beseitigen wollte, sobald er es antraf. Bis heute verstehe ich nicht, warum Gott ihn zu sich genommen hat, wo es doch so viele schlechte Menschen gibt.«
Der Captain sah sie eindringlich an, sein Ausdruck verriet Mitleid. »Dann müssen Sie sich glücklich schätzen, dass Sie einen solchen Mann hatten, wenn es auch nur für kurze Zeit war«, erwiderte er mit einer Sanftheit, die sie noch nicht an ihm kannte. »Ich kann Ihnen versichern, es gibt nur wenige solcher Männer. Aber dennoch sollten Sie sich nicht vor den anderen Menschen verschließen, besonders jetzt, da Ihnen so viel bevorsteht.«
Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, aber sie war fest entschlossen, vor ihm nicht zu weinen. »Vielleicht haben Sie Recht«, sagte sie steif.
»Ganz sicher habe ich Recht.« Er lächelte, bewegte sich vom Rad des Wagens fort und rückte seinen Hut gerade. »Und es würde Ihnen auch nicht schaden, wenn Sie ein anderes Kleid anziehen würden. Schwarz speichert die Hitze, und das ist in Ihrem Zustand nicht gut für Sie.«
Seine Sorge berührte Matilda. »Sie sind ein rätselhafter Mann«, murmelte sie.
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