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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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wiederzuerkennen, aber dennoch konnte sie das Straßenkind, das sie einmal gewesen war, nicht ganz verleugnen. Ihre heimlichen Seitenblicke, ihre zotigen Bemerkungen und der verschmitzte Ausdruck in ihren grünen Augen verrieten sie, obwohl sie wie jede andere Frau und Mutter aussah. Sie hatte runde Hüften, eine gute Ausdrucksweise und trug ein graues Kleid mit einer schneeweißen Schürze. All das sprach für Anstand und Bodenständigkeit, doch allein diese scharfsinnige Bemerkung über Captain Russell bewies, dass sie ihre Wurzeln noch nicht ganz vergessen hatte.
    »Oh, Cissy!«, rief Matilda aus. »Als interessierte ich mich in meiner Situation für einen Mann auf diese Weise! Wir haben uns nur sehr gut verstanden und sind Freunde geworden.«
    Cissy verdrehte die Augen. »Du sprichst nicht mit einem dieser bibeltreuen Moralisten«, erklärte sie. »Ich bin es, mit der du redest! Er hat dich fasziniert, das weiß ich genau, und er scheint sich auch für dich interessiert zu haben.«
    Matilda errötete, aber da sie wusste, dass Cissy das Thema nicht fallen lassen würde, erzählte sie ihr ein wenig mehr über ihn und erwähnte auch, dass er der Einzige gewesen war, der von Giles gewusst hatte.
    »Und wie habt ihr euch voneinander verabschiedet?«, fragte Cissy, setzte sich wieder an den unabgeräumten Tisch und sah ihre Freundin durchdringend an. »Hat er gesagt, dass er dich besuchen wird?«
    Matilda schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn gefragt, ob er uns schreiben würde. Er hat genickt, und das war alles.«
    Cissy lächelte. »Das ist besser als gar nichts. Er wird eines Tages hier auftauchen.«
    Matilda lachte. »Das wird er natürlich nicht! Er hat andere Dinge zu erledigen, als eine Frau mit zwei Kindern im Schlepptau zu besuchen.«
    Cissy konnte ihre Freundin nur wissend anlächeln, denn sie hatte in ihrer Zeit als Prostituierte sehr viel über Männer gelernt. Nach dem zu urteilen, was Matilda erzählt hatte, musste sich Captain Russell in sie verliebt haben. Manchmal fragte sie sich wirklich, ob Matilda eigentlich von ihrer eigenen Schönheit etwas ahnte. Denn schön war sie, nicht nur äußerlich. Das Wertvollste an Matilda war ihr Herz.
    In Cissys Augen strahlte Matilda eine verführerische Mischung aus Unschuld und Sinnlichkeit aus. In ihrem formlosen, abgenutzten Kleid und mit ihrem streng geflochtenen Haar mochte sie gesetzt und etwas spröde aussehen. Doch sobald sie zu sprechen begann und die Menschen mit ihrem offenen und direkten Blick fixierte, konnte jeder Mann schnell ihren starken Willen, ihren Mut und ihre Güte erkennen, besonders jemand, der so klug war, wie es Captain Russell zu sein schien. »Glaub mir, er wird kommen«, wiederholte sie nur.
    »Ich kann keinen anderen Mann lieben«, entgegnete sie mit einem Seufzer. »Ich fühle mich völlig leer.«
    Cissy erkannte, dass Matilda die Wahrheit sprach, und sah die tiefe Traurigkeit in den Augen ihrer Freundin. Sie stand auf, ging zu ihr hinüber und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Es mag sein, dass es dir jetzt so erscheint, aber es wird nicht immer so bleiben«, versicherte sie sanft. »In einem halben Jahr sieht alles anders aus.«
    Am ersten April des Jahres achtzehnhundertneunundvierzig stand Matilda an der Tür des Holzhauses und atmete die frische, erdige Frühlingsluft ein. Cissys Worte fielen ihr jetzt wieder ein, nachdem sie ein halbes Jahr hier lebte. Cissy hatte Recht gehabt, es hatte sich alles verändert. Zwar mochte sie immer noch keinen anderen Mann lieben – Amelia, Tabitha und Cissys Familie waren vollkommen ausreichend für sie. Doch sie wusste, dass es an der Zeit war, an ihre Zukunft zu denken.
    Erste Anzeichen schwachen grünen Laubes waren an den Bäumen zu sehen, das Gras wuchs wieder, und der kleine Bach war vom Schmelzwasser aus den Bergen mächtig angeschwollen. Im Vergleich zu New York war der Winter hier sehr mild gewesen. Es hatte nicht einmal gefroren, nur lange Zeit geregnet, und sie hatte erfahren, dass die Leute in dieser Gegend das ganze Jahr über Korn anbauen konnten. Die Sau hatte neulich vierzehn Junge geworfen, und auch die Kuh hatte zwei Kälber geboren. Sie würden hier niemals verhungern, die Flüsse waren voller Fische, überall gab es Hasen, Kaninchen und Wild, und es wuchsen so viele verschiedene Beeren, dass die Entscheidung, welche man zuerst essen sollte, schwer fiel. Sie liebte das Leben in Oregon, die Schönheit der Landschaft, das Gefühl der Sicherheit, mit Cissy und John das Haus

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