Lesley Pearse
in Ruhe sprechen, weil die Kinder viel zu aufgeregt waren. Erst als sie endlich zu Bett gegangen waren, packte Matilda die vielen Bankwechsel aus, erläuterte die neuen Aufträge und erzählte alle Neuigkeiten.
Doch als sie ihr von dem Stück Land berichtete, das sie kaufen wollte, und vorschlug, Mr. Weinburg bei ihrem morgigen Besuch in der Bank darum zu bitten, ihr einen Scheck über sechshundert Dollar auszustellen und ihn an Mr. Charles Dubrette zu senden, damit er in ihrem Namen das Grundstück erwerben konnte, war es vorbei mit Cissys Lachen und ihrer Aufregung.
»Ich weiß wirklich nicht, wie du mich um so etwas bitten kannst, da John doch tot ist«, fuhr Cissy fort. »Du stiehlst meinen Kindern das Essen aus dem Munde.«
»Cissy!«, rief Matilda aus. »Wie kannst du nur so etwas behaupten? Du versuchst, meinen Kindern dies anzutun. Ich habe dieses Geld selbst verdient. Ohne meine Anstrengungen wäre das Sägewerk wertlos, und du könntest es gar nicht verkaufen. Ich kann nicht glauben, dass du jetzt so kleinmütige Gedanken hast. John würde sich im Grabe herumdrehen.«
»Natürlich! Erwähne ihn ruhig, um mich zu verletzen«, erwiderte Cissy wütend. »Wir haben dich aufgenommen, dich versorgt, uns um dich gekümmert und dafür nie einen Cent verlangt. Und jetzt möchtest du bezahlt werden!«
Matilda war außer sich und gleichzeitig verletzt. »Ich habe wie eine Irre in diesem Haus geschuftet«, erinnerte sie. »Ich habe mir meinen Unterhalt mehr als erarbeitet, das hast du selbst gesagt. Außerdem wirst du neben den Auftragseinnahmen durch den Verkauf des Sägewerks und des Hauses ein solches Vermögen anhäufen, dass du den Rest deines Lebens angenehm verleben kannst, ohne je wieder einen Finger rühren zu müssen. Wie kannst du mir also meinen Lohn vorenthalten? Wovon soll ich deiner Meinung nach leben?«
»Ich werde dich versorgen«, antwortete Cissy.
Matilda hätte am liebsten laut aufgeschrien. War ihre Freundin wieder verrückt geworden? »Cissy! Soll ich etwa deine Sklavin sein?«
Cissy ließ plötzlich den Kopf hängen und begann zu weinen. Matilda ignorierte sie, denn sie war viel zu wütend, um sie zu trösten. Als Sidney aus dem abgetrennten Schlafbereich kam, den er sich mit Peter teilte, und sich die Augen rieb, blickte Matilda ihn fragend an. Vermutlich hatten ihre erhobenen Stimmen ihn geweckt.
»Sie hat Angst, Matty«, erklärte er und legte seine Hand schützend auf Cissys gebeugte Schulter. »Sie hat in ihrem ganzen Leben nie mit mehr als zehn Dollar umgehen müssen. John hat sich immer um alles gekümmert, und als er gestorben ist, hast du das Ruder für sie in die Hand genommen. Cissy hat Angst, dass du fortgehst und sie mit der ganzen Verantwortung allein lässt.«
Matildas Wut verflog sofort, nachdem sie diese Erklärung gehört hatte. Sie stand auf, ging um den Tisch herum und legte eine Hand auf Cissys bebende Schultern. »Stimmt das, Cissy?«
Ein schwaches Kopfnicken bestätigte Sidneys Vermutung.
»Aber wieso hast du mir das nicht erzählt? Ich hätte dir alles ganz genau erklären können.«
Cissy drehte sich auf ihrem Stuhl um und griff, ohne aufzublicken, nach der Hand ihrer Freundin. »Weil ich so dumm bin«, schluchzte sie. »John kannte mich, und deshalb hat er sich um alles gekümmert, aber nach seinem Tod konnte ich mich dir nicht anvertrauen und habe dich einfach machen lassen. Als du fort warst und die ersten Leute kamen, die sich für das Sägewerk und das Haus interessierten, ist mir alles über den Kopf gewachsen. Als du von dem Stück Land berichtet hast, das du kaufen willst, habe ich Panik bekommen und das Erstbeste gesagt, was dich zum Bleiben zwingen könnte.«
»Du bist nicht dumm, Cissy. Schau doch mal, was du alles gelernt hast, seitdem ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, forderte Matilda sie auf und wiegte sie in ihren Armen tröstend vor und zurück. »Und wenn du zehn Dollar abzählen kannst, kannst du auch hundert oder sogar tausend auseinander halten. Morgen zeige ich dir, wie einfach es ist, und wir werden uns über die Zukunft unterhalten. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben.«
Als Matilda später im Bett lag und dem heulenden Wind zuhörte, dachte sie über Cissys Problem nach. Es musste unheimlich sein, nicht lesen zu können oder Zahlen nicht zu verstehen, besonders, wenn man schon als Kind gelernt hatte, keinem Menschen zu vertrauen. Bankwechsel mussten für Cissy lediglich ein weißes Papier mit bedeutungslosem Gekritzel sein.
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