Lesley Pearse
dem Kaminfeuer. »Es wird Charles vollkommen gleichgültig sein. Wir wissen alle, dass wir das Budget überschritten haben, aber ein paar Wochen nach der Eröffnung wird es wieder ausgeglichen sein. Ich möchte mit dir reden.«
Wenn Zandra in diesem Befehlston sprach, gehorchte ihr jeder, auch Matilda. Widerwillig ging sie zum Sofa hinüber.
»Schuhe aus, Füße hoch!«, forderte Zandra scharf. »Und trink den Brandy, den ich dir eingeschenkt habe.«
Matilda nahm das große Glas in die Hand und nippte vorsichtig daran.
»Du hast in den vergangenen Wochen keine Pause eingelegt«, schalt Zandra. »Du kannst nicht in diesem Tempo weiterarbeiten, Matty. Du wirst krank werden. Wo werden wir dann stehen?«
»Ich werde nicht krank, ich bin stark wie ein Pferd«, erwiderte Matilda.
»Das habe ich früher auch gesagt«, Zandra lächelte. »Doch wir sind uns ohnehin in vielen Dingen ähnlich. Bis zum Zusammenbruch zu arbeiten ist eine sehr gute Möglichkeit, Probleme und Herzensangelegenheiten zu verdrängen. Aber ich versichere dir: Solltest du wirklich zusammenbrechen, werden sie wieder aufspringen und dir mit voller Wucht ins Gesicht schlagen.«
»Ich habe keine Probleme«, behauptete Matilda entrüstet. »Außer meiner Sorge, ob wir rechtzeitig mit allem fertig werden und die Tänzerinnen zur Eröffnungsfeier erscheinen.«
»Doch. Du glaubst, eine schlechte Mutter zu sein.«
Diese direkte Bemerkung ließ Matildas Kopf vor Überraschung mit einem Ruck nach oben fahren.
»Ich habe natürlich Recht, versuche also nicht, es zu leugnen«, erklärte Zandra. »Ich kann wahrscheinlich nichts sagen, was dich vom Gegenteil überzeugt, doch ich versichere dir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Du musst dich mit deiner Entscheidung, die Kinder zu verlassen, versöhnen. Ansonsten wirst du immer unglücklicher, und wenn einer Frau so etwas passiert, können die Folgen fatal sein.«
Matilda betrachtete das Glas Brandy in ihrer Hand und fragte sich, ob Zandra ihren Alkoholkonsum kritisierte.
»Ja, genau, das ist ein Weg, den du einschlagen könntest«, bemerkte Zandra und hob eine Braue. »Es gibt allerdings noch andere Möglichkeiten: Du könntest die falschen Männer in dein Leben lassen, mehr ausgeben, als du verdienst, oder zu Opiaten Zuflucht nehmen.«
»So dumm werde ich mit Sicherheit nicht sein«, wollte Matilda erwidern, doch sie konnte sich gerade noch zurückhalten. Schließlich hatte Zandra eben erklärt, ihre Gefühle gut nachvollziehen zu können. Die Freundschaft zwischen ihnen war in der letzten Zeit immer tiefer geworden, und sie hatte herausgefunden, dass Zandra nur durch großes persönliches Leid eine so verständnisvolle und weise Frau geworden war.
»Hast du auch ein Kind zurückgelassen?«, flüsterte sie.
Zandra nickte.
»Kannst du mir davon erzählen?«
Die ältere Frau seufzte. »Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, deshalb musst du Stillschweigen geloben, selbst wenn wir uns eines Tages zerstreiten sollten.«
»Natürlich«, entgegnete Matilda.
»Mit siebzehn Jahren bin ich von unserem Kutscher verführt worden. Mein Vater ließ ihn auspeitschen und hat mich in Schande zu meiner Tante nach Somerset entlassen«, sprudelte sie hervor, als könnte sie durch eine schnelle Erzählung verhindern, den Schmerz noch einmal durchleben zu müssen.
»Als ich die Schwangerschaft feststellte, wusste ich, dass ich von meiner Familie keine Hilfe erwarten konnte. Deshalb bin ich eines Nachts davongelaufen und nach Bath geflüchtet. Ich war vorher schon zwei Mal dort gewesen und hatte gedacht, es sei ein schöner, fröhlicher Ort. Vermutlich hoffte ich einfach, mir würde jemand helfen. Es hat mir jemand geholfen. Ich habe einen Herrn von Stand kennen gelernt, der offenbar völlig verzaubert von mir war. Er besaß ein großes Gut auf dem Lande, und als ich ihm von meiner Lage erzählte, versprach er, schon für mich zu sorgen.« Sie verzog das Gesicht und stockte. Offenbar schmerzte auch die knappe Erzählung noch.
»Dieses ›Sorgen‹ bedeutete, dass er sich zu jeder Zeit an mir vergriff, in jeder Art, die ihm in den Sinn kam, bis zur Geburt meines Sohnes Piers. Danach hat er mir ein Ultimatum gestellt. Ich sollte meinen ›Bastard‹, wie er ihn nannte, fortgeben, wofür er sogar Geld zahlen wollte, und mein restliches Leben mit ihm in Luxus verbringen. Ansonsten wollte er mich hinauswerfen. Überflüssig zu sagen, dass ich fortgegangen bin, und ich war dumm genug, ein paar seiner
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