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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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ihnen eine anständige Beschäftigung angeboten zu haben.
    Sie sah zu Mary Callaghan hinunter, die sich mit einem Tablett in der Hand den Weg durch eine Gruppe Männer kämpfte. Mit ihren roten Locken, den frechen Sommersprossen auf der Stupsnase und ihrem breiten Lächeln könnte sie als Mädchen durchgehen, das frisch von einer Farm in Idaho kam. Und dennoch hatte sie noch vor sechs Monaten in einer Hütte am Flussufer in Sacramento gelebt und sich all den jungen Männern angeboten, die mit den Booten gekommen waren, um Gold zu suchen.
    Matilda hatte sie nur durch Zufall getroffen. Mary war damals in einer schrecklichen Verfassung gewesen. Ihr Kleid war schmutzig, das Mieder zerrissen gewesen. Ihr Gesicht hatte einige Schnittwunden aufgewiesen.
    »Kann ich dir helfen?«, hatte Matilda instinktiv gefragt. »Wer hat dich denn so schlimm verletzt?«
    Das Mädchen ließ sich daraufhin auf den Boden sinken und brach in Tränen aus. Es erzählte, dass es vor ein paar Tagen Sacramento verlassen hatte, um hier in San Francisco von vorne zu beginnen. In der vergangenen Nacht war Mary von einem Mann angesprochen worden, der sich um sie hatte kümmern wollen.
    »Ich wusste sofort, was er meinte«, erklärte sie wütend. »Ich sagte ihm: ›Ich brauche keinen Zuhälter. Ich kann selbst auf mich achten.‹ Als ich später mit einigen Frauen zu London Lil’s gehen wollte, hat er mich auf dem Weg abgefangen und zusammengeschlagen. Und ausgeraubt hat er mich auch. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Er hat gedroht, mich umzubringen, wenn ich in der Stadt arbeiten würde.«
    Matilda konnte nicht anders, als das Mädchen zu umarmen. »Er wird dich nicht umbringen«, versicherte sie. »Dafür werde ich schon sorgen. Aber jetzt kommst du erst einmal mit zu mir nach Hause, damit du dich waschen kannst.«
    »Ich werde in keinem Bordell arbeiten!«, begehrte das Mädchen auf und befreite sich aus der Umarmung. »Genauso hat alles angefangen, als eine Frau mich mitnahm und behauptete, nach mir sehen zu wollen.«
    »Ist es das, wofür du mich hältst? Eine Bordellmutter?«, rief Matilda aus.
    »Sind Sie das denn nicht?«
    »Nein«, antwortete Matilda entrüstet. »Wie kommst du darauf?«
    »Eine normale Dame würde niemals mit einer wie mir sprechen«, erklärte das Mädchen.
    »Nun, so normal bin ich auch wieder nicht«, Matilda lachte. »Mir gehört London Lil’s.«
    Das Mädchen starrte sie nur an. »Das kann nicht sein. Man erzählt sich, die Besitzerin sei kalt wie Eis.«
    »So, so«, meinte Matilda grinsend. »Und warum?«
    »Weil sie uns Mädchen nicht erlaubt, dort zu arbeiten.«
    »Das stimmt allerdings«, räumte sie ein. »Aber das hindert mich nicht daran, ein Mädchen mitzunehmen und ihm zu helfen.«
    Matilda wusch sie, suchte ihr ein Kleid heraus und hörte sich ihre traurige Geschichte an. Erst am nächsten Tag bot sie Mary an, als Kellnerin in London Lil’s zu bleiben und in einem Raum hinter dem Saal zu wohnen.
    Fast alle Mädchen, die für sie arbeiteten, waren früher Prostituierte gewesen, und Matilda gab sich keinen falschen Hoffnungen hin, dass sie ihrer Profession für immer den Rücken gekehrt hatten. Aber Mary war anders. Die Freude auf ihrem Gesicht, als Matilda ihr den Job angeboten hatte, war wirklich rührend gewesen.
    »Niemals wieder werde ich mich von einem Mann berühren lassen«, sagte Mary, und damit war es ihr ernst. Heute, sechs Monate später, gehörte sie zu den gewissenhaftesten und tüchtigsten Mädchen unter Matildas Angestellten. Sehr bald war sie für sie nicht mehr nur eine Angestellte, sondern auch eine Freundin geworden.
    Matilda ging die Treppen weiter hinunter, während die abendliche Unterhaltungsshow ihren Lauf nahm. Heute traten die Tänzerinnen, ein Tenor aus Italien und eine Schlangenfrau auf. Wie gewöhnlich war der Saal brechend voll. Matilda bewegte sich durch die Menge, begrüßte Stammgäste, stellte sich denen vor, die zum ersten Mal gekommen waren, und hielt die Augen offen, um Ärger frühzeitig zu verhindern.
    Die Tänzerinnen kamen nach ihrer Vorführung noch einmal auf die Bühne, und Matilda wollte gerade wieder die Treppe hochgehen, um dem Geschehen von oben zu folgen, als sie plötzlich spürte, dass jemand sie beobachtete. Sie drehte sich um, und zu ihrer größten Überraschung stand Captain Russell in der Tür und starrte sie an, als wollte er seinen Augen nicht trauen.
    Ihr erster Wunsch war, fortzulaufen und sich zu verstecken. Sie hatte in ihren ersten

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