Lesley Pearse
besser, und die Mädchen erhielten Stellungen in respektablen Häusern. Bald hatte sich Matildas Verlässlichkeit in der Stadt herumgesprochen, und so erhielt sie immer mehr Aufträge. Doch eine der erfreulichsten Konsequenzen ihrer Arbeit war die Unterstützung, die einige der Damen der besseren Gesellschaft anboten. Sie schickten Kleiderpakete, übrig gebliebene Stofflängen und boten sogar einige Male Unterkünfte für heimatlose Mädchen an.
In der Zwischenzeit waren auch ein paar neue Mädchen ins Haus in der Folsom Street gezogen. Dolores nahm sie auf, pflegte sie gesund und führte sie an das Nähen heran. Das Schneidern von Hemden erwies sich bald als lohnenswerte Einkommensquelle. Dolores erstellte die Muster und schnitt den Stoff zurecht, während die Mädchen sich bereitwillig an der Maschine abwechselten und Knöpfe annähten. Anschließend wurden die fertigen Hemden gebügelt. Ein Männerbekleidungsgeschäft in der Market Street kaufte die Artikel so schnell auf, wie die Mädchen sie herstellen konnten.
Am Abend eines jeden langen Tages war Matilda so müde, dass sie vor Erschöpfung sofort hätte einschlafen können. Sie bestand aber immer noch auf dem gemeinsamen Abendessen mit Sidney und Peter, sodass sie ihr Familienleben aufrechterhalten konnten. Sie wusste zwar, dass ihr Büro Verluste machte, aber sie hielten sich im Rahmen, und Matilda konnte es sich leisten. Das Haus in der Folsom Street hielt sich gerade mit den Zuschüssen der Stadt, Spenden und den Erträgen aus den Kleidungsverkäufen über Wasser. So müde sie oft war und so trüb ihr das Leben ohne James und Tabitha erschien, hatte sie sich nie so ausgefüllt gefühlt. Sidney führte London Lil’s genauso erfolgreich wie sie selbst in der Vergangenheit. Er gewann täglich an Selbstvertrauen, und Matilda war überzeugt, dass ein Grund hierfür seine beginnende Liebesbeziehung mit Mary war. Auch Peter fühlte sich in der Schule und zu Hause sehr glücklich.
Selbst wenn die Anzahl der Mädchen, denen sie helfen konnte, gering war im Vergleich zu der Menge junger Frauen, die ihren Weg zur Barbary Coast fanden, empfand sie es doch als tröstend, überhaupt etwas gegen die Missstände zu unternehmen. Sie erinnerte sich an ihre Worte gegenüber Giles, das Leben einiger Menschen zum Guten verbessern zu wollen. Dies erreichte sie jeden Tag, und sie beabsichtigte, noch eine Menge mehr zu schaffen, bevor sie am Ende war.
24. K APITEL
1861
E ines Morgens im Mai kam Sidney in die Küche gelaufen und hielt breit grinsend einen Brief hoch. »Er ist vom Captain«, verkündete er. »Vielleicht kann er uns erklären, was gerade vor sich geht.«
Erst vor einem Monat, am zwölften April, hatte General Beauregard seinen Rebellen aus dem Süden befohlen, das Feuer gegen die Unionstruppen in der Hafenfestung Fort Sumter in Charleston zu eröffnen. Dabei war zwar nur ein Pferd der Konföderierten getötet worden, dennoch hatte die Begegnung die Kriegserklärung zwischen Norden und Süden zur Folge gehabt. Keiner sprach mehr von etwas anderem. Matilda öffnete den Brief schnell, doch sobald sie gesehen hatte, dass James immer noch vom Fort Leavenworth schrieb, wo er die letzten fünf Jahre schon stationiert gewesen war, sah sie zu Sidney hoch. »Er ist noch in Kansas«, berichtete sie.
Sidney sah enttäuscht aus. »Ich dachte, der Captain wäre mitten im Geschehen«, murmelte er.
Matilda lächelte über Sidneys Unwissenheit. Er interessierte sich nicht sehr für Politik, nur die sensationelleren Nachrichten erweckten seine Aufmerksamkeit. »Mit dem Ärger in Kansas hat alles angefangen«, sagte sie. »Und es ist immer noch eine Brutstätte für Guerillakämpfe. Ich hatte gehofft, Mr. Lincoln würde nach seiner Wahl zum Präsidenten im vergangenen Jahr die Dinge etwas beruhigen, aber jetzt sind elf Staaten aus dem Bündnis ausgetreten, weil sie mit seiner Behandlung der Sklavenfrage nicht übereinstimmen, und haben die Konföderierten Staaten gebildet.«
Sidney sah verwirrt aus. »Vielleicht wird der Brief des Captains es so erklären, dass ich es verstehen kann«, meinte er.
Peter und er verehrten James, und sie waren vollkommen überzeugt, dass seine Ansichten genauer und exakter waren als alles, was sie in den Zeitungen lesen konnten. »Ich lass dich besser allein, damit du ihn lesen kannst.«
Matilda lächelte. Eigentlich wünschte sich Sidney, sie würde ihm den Brief sofort vorlesen, das wusste sie genau. Sie würde ihm später davon berichten,
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