Lesley Pearse
Giles, und als sich Matilda ihm zuwandte, sah sie Tränen seine Wangen herablaufen.
Die Küche war vom Ofen, auf dem das Badewasser erhitzt wurde, so aufgeheizt, dass Matilda zwischenzeitlich dachte, sie würde ohnmächtig werden. Doch jedes Mal, wenn sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, sah sie etwas, das ihr wieder neue Energie verschaffte. In jeder Zinkwanne saßen zwei Waisen. Die Kinder, die bereits geschrubbt worden waren, hockten, in dicke Handtücher gehüllt, auf einer anderen Seite des Raumes. Die noch nicht gebadeten Kinder warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren. Alle hatten eine Schüssel Suppe und ein Stück Brot bekommen, bevor mit dem Bad begonnen worden war. Egal, ob schmutzig oder sauber, alle waren sie zufrieden, gesättigt im Warmen und Trockenen zu sein.
Sie hatten den Kindern die Köpfe rasieren müssen, da ihr Haar zu verfilzt gewesen war, um den Läusen auf eine andere Weise den Garaus zu bereiten, und sie konnten nicht angezogen werden, bevor der Doktor sie nicht alle untersucht hatte. Doch trotz der geschorenen Köpfe konnte man sie jetzt voneinander unterscheiden, denn nachdem der Schmutz verschwunden war, waren schließlich ihre individuellen Gesichter zum Vorschein gekommen. Vier der Kinder stammten von schwarzen Eltern ab, drei waren offenbar Mulatten, doch die Gesichter der restlichen Kinder waren gespenstisch blass. Alle hatten schwere Verletzungen, Narben und Rattenbisse, und als sich ein fünfjähriges Mädchen auf dem Boden niederließ, um sich zu erleichtern, wurde Matilda klar, dass keines der Kinder auch nur eine Vorstellung von den grundsätzlichsten Hygieneregeln hatte.
Sidney war als Erster gebadet worden, und er hatte Oz ausgewählt, die Wanne mit ihm zu teilen. Die beiden hatten sich mit offenem Mund angestarrt, als der Schmutz aus ihren Gesichtern verschwunden war und sie endlich wussten, wie das Gegenüber eigentlich aussah. Matilda musste lauthals lachen, als sie Sidney später flink aus der Wanne springen sah. Seine Erleichterung, die Waschprozedur heil und in einem Stück überstanden zu haben, war unübersehbar.
»Jetzt seid ihr dran!« Matilda rief die letzten beiden kleinen Jungen zur Wanne und musste grinsen, als sie sah, wie Dr. Kupichas Haushälterin Eva naserümpfend die Decke nach draußen trug, auf der die zwei gesessen hatten.
Trotz aller Unordnung waren die Kinder sehr brav gewesen. Manche hatten geweint, doch langsam waren die Tränen von einem schüchternen Lächeln abgelöst worden. Matilda war ziemlich sicher, dass sie sich auch weiterhin so gehorsam verhalten würden. Sie hoffte jedoch, dass die Helfer in New Jersey genug Geduld mitbringen würden, denn sie hatte eine vage Vorahnung, dass sie in den kommenden Wochen einige Prüfungen bestehen mussten.
»Ihr seid sehr spät dran«, rief Lily aus, als Matilda und Giles nach zehn Uhr abends endlich zu Hause ankamen. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Wo um alles in der Welt habt ihr so lange gesteckt?« Sie stand in ihrem Nachthemd und mit aufgelöstem Haar vor ihnen. Ihre Schultern waren mit einem Umhang bedeckt. Ganz offensichtlich hatte sie schon im Bett gelegen, hatte aber vor lauter Sorge nicht schlafen können.
»Es hat länger gedauert, sie nach New Jersey zu bringen, als ich vermutet hatte«, flunkerte Giles. Matilda war über seine glatte Lüge erstaunt. »Und wir konnten nicht sofort zurückfahren und sie einfach ihrem Schicksal überlassen. Wir wollten sehen, dass sie gut versorgt werden. Ich fürchte, wir müssen morgen noch einmal nach New Jersey fahren, weil wir gehört haben, dass noch eine zweite Gruppe hingebracht werden muss. Es tut mir Leid, dass du dir Sorgen gemacht hast, Liebes, aber solche Dinge können einfach passieren.«
Die Angst verschwand aus Lilys Gesicht. »Ich bin nur froh, dass es euch beiden gut geht. Aber ihr seht erschöpft aus«, stellte sie fest und legte jeweils eine Hand liebevoll auf ihre kalten Wangen. »Was ihr durchgemacht haben müsst! Ich habe euch ein wenig Brot und Käse zurechtgemacht, und es ist auch noch frischer Kaffee in der Kanne. Ich werde jetzt ins Bett gehen, wenn es euch nichts ausmacht.«
Matilda wagte nicht, Giles ins Gesicht zu sehen, bis sie hörte, wie sich Lilys Schlafzimmertür schloss. Sie stellte Käse und Brot auf den Tisch und goss zwei Tassen Kaffee ein.
»Ich lerne jeden Tag etwas Neues über Sie«, bemerkte sie schließlich. »Damals in Primrose Hill hätte ich mir nie vorstellen können, dass Sie Kindern
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