Lesley Pearse
taghell. Aus allen Richtungen ertönte Musik. Als sie in die Menge eintauchten, sah Matilda einen Bärentanz, und sie klatschte vor Vergnügen in die Hände.
»Gefällt es dir?«, fragte Rosa, fasste die Hände ihrer Freundin und tanzte zur Geigenmusik eines Zigeuners eine Polka mit ihr.
»Es ist besser als in London!« Matilda schnappte nach Luft und hörte auf zu tanzen, weil die Leute sie beobachteten. »Ich wusste nicht, dass es in New York so etwas gibt«, meinte sie und blieb einen Moment stehen, um der Musik eines Flötenspielers zuzuhören. »Ich dachte immer, dass die New Yorker sehr ernsthaft wären. Ich hoffe nur, dass uns keiner sieht.«
»Leute von der Kirche kommen nicht hierher«, Rosa lachte und stieß ihrer Freundin in die Seite, um sie auf zwei sehr grell gekleidete Frauen aufmerksam zu machen, die stark geschminkt waren. »Und wenn sie kommen, tun sie es verbotenerweise wie wir, und deshalb werden sie bestimmt nichts ausplaudern.«
Matilda fand, dass Rosa für eine Bedienstete recht viel von der Welt zu kennen schien, was sie ein wenig beunruhigte. Doch nach der gezwungenen Atmosphäre beim Tanzabend, war es wunderbar, an einem lauten, sorgenfreien Ort zu sein. Ein wenig später kamen zwei befrackte Männer mit seidenumspannten Zylindern auf sie zu.
»Guten Abend, die Damen«, begann der Größere der beiden und hob seinen Hut. »Dürfen wir Sie ein Stück begleiten?«
Rosa kicherte. »Selbstverständlich, meine Herren«, antwortete sie, und zu Matildas Überraschung winkte sie ihr zu und hakte sich bei dem Fremden unter.
Matilda mochte vielleicht keine Erfahrung mit Männern haben, aber sie hatte durch ihre Beobachtungen in den Straßen von London einiges über sie gelernt. Ihr Gefühl verriet ihr, dass diese beiden Herren Rosa und sie für Prostituierte hielten. »Nein, Rosa«, sagte sie und glaubte zunächst, ihrer Freundin wäre dies entgangen. Aber sofort schritt der andere Mann auf sie zu und schaute ihr direkt in die Augen. Er musste um die dreißig sein, sein Gesicht war vom Trinken gerötet, und es lag etwas Kaltes in seinem Blick, das Matilda noch nervöser werden ließ.
»Komm schon«, drängte er und streckte ihr seinen Arm hin. »Wir wissen beide, warum wir hier sind.«
»Sie irren sich«, widersprach sie und versuchte, so viel Überheblichkeit in ihre Stimme zu legen, wie ihr möglich war. »Wir sind nur hier, um uns umzuschauen. Wenn Sie ein Gentleman sind, lassen Sie uns freundlicherweise in Ruhe weitergehen!« Schnell eilte sie an ihm vorbei und lief hinter Rosa her, die mit dem größeren Mann schon ein Stückchen vorangegangen war.
Sie ergriff den Arm ihrer Freundin und zischte ihr ins Ohr: »Verschwinden wir, Rosa! Sie denken, wir sind leichte Mädchen.«
Aber zu ihrem Entsetzen lachte Rosa nur und schüttelte sie ab. Matilda kam der Gedanke, dass man in Amerika den Begriff ›leichtes Mädchen‹ vielleicht nicht verwendete, und sie wollte gerade den Mund öffnen und einen gröberen Begriff aussprechen, als der zweite Mann auf sie zukam, sie beim Handgelenk packte und sie wegzog.
»Komm schon, blonde Schönheit«, meinte er. »Deine Kameradin weiß genau, was sie tut, und ich wette, du bist auch einverstanden, solange der Preis stimmt.«
Dutzende Männer hatten sie auf diese Weise angesprochen, als sie noch als Blumenmädchen gearbeitet hatte – dies gehörte zu den Gefahren des Jobs –, und sie hatte schnell gelernt, dass Worte zur eigenen Verteidigung nicht mehr ausreichten, sobald ein Mann handgreiflich wurde. Sie schüttelte seinen Arm ab, ballte die Hand zur Faust und versetzte ihm einen kräftigen Kinnhaken.
Er stolperte zurück, eher aus Überraschung als vor Schmerz. »Kleine Teufelsbraut«, rief er aus. »In welchem Saloon hast du das denn gelernt?«
Wenn Rosa nicht gewesen wäre, hätte Matilda augenblicklich die Flucht ergriffen. Doch weil sie immer noch vermutete, dass ihre Freundin zu unschuldig war, um zu durchschauen, worauf die Männer es abgesehen hatten, lief sie zurück zu Rosa und versuchte, sie gewaltsam aus dem Arm ihres Begleiters zu befreien. Gerade als sie ihren Unterarm ergriffen hatte, kam der Mann, den sie geschlagen hatte, von hinten auf sie zu und umfasste ihre Taille und Arme.
»Rosa, sie denken, wir sind Huren«, rief Matilda. Die umherstehende Menge schien sich an ihrer Verzweiflung zu freuen wie an einem Straßenschauspiel. Aber diese Demütigung war unwichtig im Vergleich zu dem Schock, den sie erlitt, als Rosa sich
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