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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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lächelte verlegen. »Guten Tag, Miss Jennings«, sagte er und hob seinen Hut. »Wie geht es dir?«
    Matilda kicherte. »Sehr gut, vielen Dank, Mr. O’Reilly.«
    Seine Augen waren dunkelblau und von langen, dichten schwarzen Wimpern umgeben. Seine perfekten Zähne blitzten so schneeweiß, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie dachte, dass kein Mann das Recht haben dürfte, so gut auszusehen. Ihr wurde schwindlig, wenn sie ihn nur ansah.
    »Muss ich dich wirklich Miss Jennings nennen?«, fragte er. »Zu Hause in Irland darf man ein Mädchen mit dem Vornamen ansprechen, wenn man es geküsst hat.«
    »Du kannst mich Matty nennen, aber du musst vergessen, dass du mich geküsst hast«, erwiderte sie und errötete. »Ich war nicht ganz ich selbst, nach dem, was passiert war.«
    »Wer war es dann, den ich geküsst habe?« Er legte den Kopf zur Seite und schaute sie belustigt an. »Das Mädchen hat dir eindeutig sehr ähnlich gesehen.«
    Sein leichter irischer Akzent und seine freundliche, neckische Art wirkten ebenso anziehend wie sein Äußeres, und sie musste lachen.
    »Es ist ein wenig zu kalt, um spazieren zu gehen«, bemerkte er und schaute in den grauen Himmel. »Sollen wir uns ein warmes Plätzchen zum Teetrinken suchen?«
    Flynn führte sie behände durch die schmalen Gassen zur Westseite der Insel und erklärte, er kenne ein kleines Café mit einem schönen Blick auf den Hudson River. Er fragte auch, wie lange sie schon in Amerika lebte und ob ihre Familie hier sei. Als sie ihm erzählte, dass Reverend Milson ein Pfarrer der Trinity Church war, schaute er ein wenig betroffen. Wahrscheinlich hat er ähnliche Ansichten über Geistliche wie ich früher, dachte sie, und sie erklärte ihm schnell, dass Reverend Milson keineswegs mit der Bibel in der Hand die Menschen belehrte.
    Der Ort, an den Flynn sie brachte, war wenig mehr als eine kleine Holzhütte, in der einfache Bänke und Tische aufgestellt waren. Einige Männer verspeisten gerade ihr Essen, aber die meisten Gäste waren Leute wie Flynn und sie, junge Frauen, wahrscheinlich Dienstmädchen oder Verkäuferinnen, mit einem männlichen Begleiter. Sie alle tranken Tee und aßen Kuchen.
    Der Blick über den Fluss mit den gehissten Segeln der Schoner, den großen Dampfern, Booten, Fährschiffen und Fischerkähnen erinnerte sie plötzlich so stark an ihre Kindheit, dass sie Flynn für einen Moment vergaß und nur die Aussicht in sich aufsog. Die Milsons hatten ihr das Versprechen abgerungen, dass sie sich von den Docks fern halten würde, weil sie die Menschen, die dort arbeiteten, für gefährlich hielten. Matilda hatte dieses Versprechen bislang noch nicht gebrochen, aber manchmal, wenn sie sich einsam fühlte und Heimweh hatte, dachte sie ernsthaft darüber nach. Lily konnte sich leicht einreden, dass sie noch in England sei, indem sie zur Kirche ging und mit den anderen englischen Frauen Tee trank. Doch für Matilda bedeuteten gerade die verbotenen Docks, die Aussicht, Gerüche und Geräusche Heimat.
    Direkt jenseits des Flusses lag New Jersey, aber obwohl sie die Anlegestelle der Fähre erkennen konnte, befand sich das Waisenhaus zu weit landeinwärts, um es sehen zu können.
    »Bist du ein wenig schüchtern?« Flynns Frage ließ sie aus ihren Gedanken schrecken. »Oder denkst du, dass ich dich an einen schrecklichen Ort gebracht habe?«
    Sie wurde furchtbar rot, als ihr bewusst wurde, dass sie noch kein Wort gesprochen hatte, seit sie sich gesetzt hatten. »Nein, natürlich nicht. Es tut mir sehr Leid, dass ich so unhöflich war. Ich habe nur die Sicht auf die Schiffe genossen und an ein paar Waisenkinder gedacht, die Reverend Milson und ich vergangene Woche in ein Heim nach New Jersey gebracht haben.«
    »Waisenkinder? Erzähl mir doch von ihnen!«, bat er.
    Matilda erzählte ihm die ganze Geschichte.
    »Ihr seid nach Five Points gegangen und habt dort Kinder rausgeholt?« Er pfiff durch die Zähne. »Himmel, Matty, das ist kein Ort für ein Mädchen wie dich!«
    »Auch für ein Waisenkind ist es nicht der richtige Ort«, antwortete sie scharf. »Ich werde wieder hingehen und noch mehr Kinder suchen.«
    Er sah sie entsetzt an. »Hat dieser Reverend Milson eigentlich irgendetwas zwischen seinen beiden Ohren?«, schimpfte er. Seine Stimme war vor Empörung laut geworden. »Er könnte dort getötet werden – und du mit ihm. Ich habe einmal zwei Wochen an diesem fürchterlichen Ort verbracht, und ich schätze mich glücklich, dass ich es überlebt

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