Lesley Pearse
geben, wenn sich die Heimleiterin beschwert.«
»Wie könnte ich dir die Schuld für etwas geben, das ganz offensichtlich so notwendig ist?«, entgegnete er. Er ging um die Ratten herum und sprach Cissy an. »Möchtest du auch mit uns kommen? Ich kann Peter und dir zwar kein dauerhaftes Zuhause versprechen, aber vielleicht können wir dich für ein paar Wochen unterbringen. Wenn du damit einverstanden bist, dich weiterhin um Peter und Pearl zu kümmern und ein wenig im Heim zu helfen, kann ich später vielleicht eine Anstellung für dich finden.«
Matilda betrachtete Cissys Gesichtsausdruck. Sie war noch misstrauisch und überlegte sicher, ob dies ein Trick war, ihr das Kind zu nehmen.
»Komm mit uns, Cissy. Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass dein Sohn bei dir bleiben wird«, drängte Matilda. Sie warf einen Blick auf die anderen Kinder, die von den Stimmen langsam geweckt wurden, und sah, wie sie sich alle instinktiv Cissy zuwandten und sie berührten. »Ich glaube auch, dass die Kleinen sehr viel glücklicher sein werden, wenn du bei ihnen bleibst.«
Cissy betrachtete die Hände der Kinder auf ihrem Schoß, dann wanderte ihr Blick zurück zu Matilda. »Meinst du es ernst?«, fragte sie ungläubig. »Ihr werdet mich und Peter an denselben Ort bringen wie die Kinder?«
»Ja, natürlich«, versprach Giles.
Ihr Lächeln war wie ein Sonnenstrahl, der den Keller erhellte. Sie nahm das Baby von ihrer Brust, wickelte es in ein verschlissenes Tuch, befestigte es und richtete sich mit beiden Säuglingen auf. »Steht auf, Kinder«, forderte sie und versammelte die Kleinen um sich. »Wir haben ein neues Zuhause.«
Es war nach neun Uhr abends, als Matilda endlich Cissys Geschichte hörte. Sie waren mit den Kindern die gleiche Waschprozedur durchgegangen wie mit den ersten, hatten sie gefüttert, gebadet, rasiert und ihnen warme Kleidung gegeben. Die beiden Babys waren zwar sehr klein, Pearl drei und Peter fünf Wochen alt, aber Dr. Kupicha hatte erklärt, sie seien stark genug, um zu überleben.
Zuletzt hatte Matilda Cissys Bad beaufsichtigt. Es war einfach, ein Kind zu waschen und ihm geduldig die Notwendigkeit täglicher Hygiene zu erklären, aber bei Cissy war es schwieriger. Sie war schmutziger als die Kinder, und das Blut der Geburt klebte noch an ihrem Körper, doch ihre geschwollenen Brüste erinnerten Matilda daran, dass sie trotz ihres kindlichen Alters bereits Mutter war und deshalb ein Recht hatte, wie eine Erwachsene behandelt zu werden. Sie empfand tiefstes Mitleid mit Cissy, für die der Verlust ihres dunklen Haares eine Erniedrigung darstellen musste.
»Es macht mir nichts aus, solange du mir etwas gibst, um meinen Kopf zu verstecken«, meinte Cissy und zuckte teilnahmslos mit den Schultern. »Ich werde in der nächsten Zeit ganz bestimmt nicht nach Männern Ausschau halten.«
Als Cissy eine Haube aufgesetzt hatte und in ein einfaches braunes Kleid geschlüpft war, schien sie zufrieden zu sein und gab sogar zu, dass es sich gut anfühlte, sauber und warm zu sein. Matilda dachte, dass sie sich sogar als hübsches Mädchen entpuppen würde, wenn ihr Haar erst einmal wieder länger gewachsen war und sie ein wenig Gewicht zugelegt hatte, denn sie hatte große grüne Augen und ein außergewöhnlich einnehmendes Lächeln.
Nachdem Giles nach Hause gegangen war und alle Kinder ins Bett gebracht worden waren, gingen Matilda und Cissy in die Küche, wo die beiden Babys friedlich schliefen. Matilda wollte in einem Sessel schlafen, um schnell zur Stelle zu sein, wenn eines der Kinder aufwachte und Angst hatte. Cissy zog freudig eine Strohmatratze näher ans Feuer und ließ sich nieder.
»Erzähl mir von dir, Cissy«, bat Matilda das Mädchen. »Wie fühlst du dich jetzt, und wer ist der Vater deines Kindes?« Cissy hatte dem Doktor bereits ein paar Dinge über ihr Leben erzählt. Sie glaubte, fünfzehn Jahre alt zu sein, wusste ihr Geburtsdatum aber nicht genau. Seit ihrem achten Lebensjahr lebte sie auf der Straße. Sie wusste nicht, ob sie in Amerika geboren worden war oder welche Nationalität ihre Mutter hatte, aber ihrer Stimme haftete ein leichter irischer Akzent an.
»Wer der Vater ist, kann ich dir nicht sagen, ich bin mit vielen Männern gegangen«, gestand sie mürrisch. »Was glaubst du, wie ich sonst hätte überleben können?«
Matilda wurde blass. Sie fragte sich, ob sie wirklich mehr erfahren wollte. »Wo hast du Peter bekommen?«, hakte sie nach. »War jemand bei dir?«
»In dem Keller, aus dem
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