Lesley Pearse
zehn Cents bestochen habe«, meinte er. »Doch verrate mir, hast du dir keine Sorgen gemacht, dass du mich vielleicht nie wiedersehen würdest?«
»Sorgen? Ich war völlig außer mir«, gab sie ehrlich zu, schlug sich jedoch die Hände vor den Mund, als sie merkte, dass es sich für ein Mädchen nicht schickte, so offen zu sprechen.
Er lachte leise. »Dann wirst du mich am nächsten Freitag treffen?«
»Wir könnten uns auch heute sehen«, entgegnete sie und war unfähig, ihre Freude zu verbergen. »Nach dem Gottesdienst habe ich den ganzen Tag frei.«
Sein Lächeln wurde sogar noch breiter. »Ich werde gegen zwölf beim Castle Clinton auf dich warten. Aber für den Fall, dass du mir noch einmal absagen willst, komm zum ›Black Bull‹, oder schick irgendein Straßenkind mit einer Nachricht vorbei.«
Sie konnte Giles die Treppe herunterkommen hören. »Du musst gehen«, flüsterte sie und drehte sich ängstlich um. Er umfasste sie schnell und zog sie an sich. Obwohl der Eisblock zwischen ihnen war, wurde Matilda bei der kurzen Berührung ihrer Lippen unglaublich heiß. Als sie schließlich die Tür hinter Flynn schloss und eilig in die Küche lief, entschuldigte sie sich still bei Gott, dass sie so wenig Vertrauen in seine Kräfte gehabt hatte.
»Einen Penny für deine Gedanken«, sagte Giles zu Matilda, als er an einem Morgen im Februar die Treppe hinunterstieg und sah, wie sie nachdenklich aus dem Fenster auf die schneebedeckte Straße schaute.
»Ich dachte gerade daran, wie ich letztes Jahr mit Tabitha Schlitten gefahren bin«, antwortete sie. »In England war der Schnee wunderschön, nicht wahr? Hier ist es so hässlich.«
»Nur in diesem Teil von New York«, meinte er, legte eine Hand auf ihre Schulter und schaute mit ihr nach draußen. Trotz der frühen Morgenstunde waren bereits viele Kutschen unterwegs und hatten den Schnee in braunen Matsch verwandelt. »In New Jersey sieht es sicher genauso schön aus wie in England. Ich vermute, dass die Kinder gerade Mrs. Rowbottom überreden, draußen herumtoben zu dürfen.«
»Wann darf ich sie wiedersehen«, fragte sie sehnsüchtig. Seit sie Cissy zum Heim gebracht hatten, war sie nur zwei Mal dort gewesen. Ein Mal hatte sie noch weitere sieben Kinder begleitet, und ein zweites Mal war sie Weihnachten zu Besuch gewesen. Es war inzwischen kein Platz mehr für weitere Kinder, aber Reverend Kirkbright suchte bereits nach jungen Ehepaaren in Pennsylvania und Connecticut, die bereit waren, einige der Kleinen zu adoptieren, um Raum für bedürftigere Fälle zu schaffen.
»Wenn das Wetter wieder besser wird«, erklärte er. »Sidney und Cissy fragen ständig nach dir.«
»Geht es ihnen denn wirklich gut dort?«, wollte sie wissen. Giles war gestern erst in New Jersey gewesen, um Vorräte zu bringen.
»Ja, sie sind richtig glücklich«, Giles lächelte. »Sidney entwickelt sich zu einem gesunden, starken Burschen. An ihm sieht man, dass sich unsere Rettungsaktion wirklich gelohnt hat. Miss Rowbottom hat mir erzählt, dass er fast acht Zentimeter gewachsen ist und achtzehn Pfund zugenommen hat. Er arbeitet, bis er neben Job auf dem Feld beinahe zusammenbricht, und er ist eine Inspiration für die kleineren Kinder. Dieser Junge wird es weit bringen, denn er hat ein gutes Herz und ist sehr geschickt mit den Händen. Dass er nicht viel von Büchern hält, ist nicht wichtig.«
»Und Cissy?«, fragte sie.
»Sie ist ein sehr freches Mädchen«, entgegnete Giles lächelnd. »Aber sie wird von Miss Rowbottom mehr gelobt als getadelt. Cissy ist eine wunderbare Mutter, und Peter und Pearl blühen geradezu auf. Eigentlich behandeln alle Kinder sie, als wäre sie ihre Mutter, und das gibt Miss Rowbottom die Möglichkeit, sich auf den Haushalt zu konzentrieren und die Kinder zu unterrichten.«
»Es gibt ein ›aber‹, nicht wahr?«, hakte Matilda ängstlich nach.
»Ja«, gab er zu. »Cissy nimmt nicht gern Anweisungen entgegen, und ich habe das Gefühl, sie fühlt sich ein wenig von der Welt und den Männern abgeschnitten. Ich vermute, dass sie das Heim verlassen möchte, wenn die Babys größer sind und das Wetter wieder wärmer wird. Doch das würde bedeuten, dass sie erneut der Prostitution verfällt. Wenn sie ihren Sohn allein ernähren muss, wäre dies die einzige Möglichkeit, die ihr offen steht.«
Obwohl Matilda ein wenig überrascht über die deutlichen Worten ihres Herrn war, war sie doch erleichtert, dass er den wahren Grund endlich erkannt hatte, aus dem so
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