Letale Dosis
Sünde auf sich geladen.«
»Ist er dann noch integer?«
»Das kann man pauschal so nicht beantworten, es kommt immer auf den einzelnen Fall an …«
»Seltsam, über Ihren Bruder brechen Sie den Stab, aber …«
»Kein aber. Er hat sich entschieden und keine Umkehr geübt. Und ich halte ihn für zu allem fähig.«
»Ich aber nicht«, sagte Durant bestimmt und erhob sich. »Ich danke Ihnen für das Gespräch, es war sehr aufschlußreich. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Und vor allem, daß Sie nie auf den falschen Weg geraten. … Ich finde allein hinaus.«
Sie ging zur Tür, drehte sich noch einmal um, fragte: »Wie stehen Sie eigentlich zu Ihrer Schwester?«
»Laura? Sie ist meine Schwester, alles andere geht Sie nichts an.«
Julia Durant verließ das Haus; sie fühlte unbändige Wut und Ohnmacht in sich aufsteigen, wäre am liebsten zurückgegangen, um diesem arroganten, selbstherrlichen Kerl die Meinung zu sagen. Sie wußte aber auch, es würde nichts nützen. Sie setzte sich ins Auto, zündete sich eine Gauloise an und fuhr los. Sie wollte kurz bei Laura Fink vorbeischauen, auch wenn sie gerade Sprechstunde hatte. Und wenn sie nur einen Termin mit ihr ausmachen würde. Aber sie mußte noch einmal mit ihr sprechen; sie wußte, wenn sie überhaupt etwas über diese geheimnisvolle Familie erfuhr, dann von ihr. Und sie spürte, der Weg zur Lösung dieser Morde führte über diese Familie.
Freitag, 11.20 Uhr
»Tut mir leid, aber die Frau Doktor ist nicht im Haus. Sie wurde zu einem Notfall gerufen …«
»Wann wird sie zurück sein?«
»Ich weiß es nicht, aber es könnte durchaus noch eine halbe Stunde dauern. Kann ich etwas ausrichten?«
»Ja, sagen Sie ihr, sie möchte mich bitte noch heute anrufen. Sie hat meine Nummer«, sagte Durant.
»Ich werde es ausrichten«, sagte die Frau, wandte den Kopf zur Tür. »Aber ich denke, Sie können selbst mit ihr sprechen, sie kommt gerade.«
Laura Fink machte einen abgekämpften Eindruck, Schweißperlen auf der Stirn, die Augen müde und erschöpft. Sie stellte den Arztkoffer ab, sagte leicht verärgert: »Frau Durant, was gibt es? Sie wissen doch, ich habe bis zwei Sprechstunde. Und wenn auch noch Notfälle wie eben dazwischen kommen … Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, aber heute ist nicht mein Tag.«
»Ich möchte nur kurz mit Ihnen reden«, sagte die Kommissarin.
»Wie viele sind im Wartezimmer?« fragte Laura Fink an die Sprechstundenhilfe gewandt.
»Noch zwei. Drei sind gegangen, als Sie zu Frau Hessler gerufen wurden. Sie kommen am Montag wieder.«
»Gut«, sagte Laura Fink, spitzte die Lippen und sah Julia Durant von der Seite an. »Mehr als zehn Minuten kann ich Ihnen aber nicht geben. Sonst müssen wir es auf ein andermal verschieben.«
»Einverstanden«, sagte die Kommissarin und folgte der Ärztin in das Sprechzimmer. Sie schloß die Tür hinter sich, setzte sich auf die Liege.
»Also, was gibt es?« fragte Laura Fink, nachdem sie hinter dem Schreibtisch Platz genommen hatte.
»Ich war vorhin bei Ihren Brüdern. Es waren, gelinde gesagt,nicht sehr erfreuliche Besuche. Können Sie sich vorstellen, warum?«
Laura Fink machte ein ernstes Gesicht, nickte. »Ja, ich kann es mir vorstellen. Sie sind beide schwierig und sehr unterschiedlich. Wir sind alle sehr unterschiedlich.«
»Aber einer Ihrer Brüder hält große Stücke auf Sie. Aber er will mir nicht verraten, was in Ihrer Familie nicht stimmt. Er sagt immer nur, wie Sie auch, ich solle mich an den oder den wenden. Damit komme ich aber nicht weiter. Wovor muß Ihr Vater sich fürchten? Sagen Sie es mir, ich verspreche auch, mit keinem darüber zu reden, es sei denn, er hat sich einer Straftat schuldig gemacht.«
Laura Fink nahm einen Stift, drehte ihn zwischen den zarten, zerbrechlich wirkenden Fingern. Sie blickte auf ihre Hände, sagte mit sanfter Stimme, ohne die Frage der Kommissarin zu beantworten: »Jürgen. Ja, er sieht in mir wohl etwas Besonderes. Vielleicht, weil ich die einzige bin, die sich ab und zu um ihn kümmert, wenn er nicht weiter weiß. Aber ich habe Ihnen doch schon gestern gesagt, sprechen Sie selbst mit meinem Vater, er weiß besser über sein Leben Bescheid als irgendein anderer.«
»Ihr Bruder Jürgen ist Alkoholiker, das ist Ihnen ja bekannt. Nimmt er auch Drogen, wie Ihr anderer Bruder behauptet?«
Laura Fink schüttelte den Kopf. »Nein, Jürgen nimmt keine Drogen, der Alkohol reicht ihm schon. Es kommt schon vor, daß er sich mal
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