Letale Dosis
nichts. Rosenzweig war angeblich auch ein Workaholic, er hatte angeblich auch eine intakte Familie und keine Zeit für kleine, schmutzige Spielchen nebenbei. Und was war? Er hatte nicht nur eine Geliebte, sondern gleich einen ganzen Harem, auf die Jahre verteilt, versteht sich. Und Schönau genau dasselbe. Und ich möchte wetten, auch Hauser hat seinen Schwanz noch in mindestens eine andere Frau reingesteckt. Workaholic hin, Workaholic her, ob Kirchenmitglied oder nicht,diese Typen finden immer einen Weg, heimlich rumzubumsen. Ich sag’s immer wieder, je höher der soziale Status, desto hemmungsloser werden Triebe ausgelebt.« Sie nahm einen Zug an der Zigarette, blies den Rauch durch die Nase aus.
»Wir müssen Fink überprüfen«, sagte sie nach einem Augenblick. »Irgend etwas sagt mir, daß er der Schlüssel zu allem ist. Ich finde einfach keine Erklärung, warum seine Kinder so verschlossen sind. Ich habe das Gefühl, sie hassen ihren Vater, der eine Bruder vielleicht ausgenommen, aber bei Jürgen Fink ist es eindeutig; er hat gesagt, er würde lieber verrecken, als noch einmal einen Fuß in das Haus seines Vaters zu setzen. Und Laura Fink hat zwar schon Andeutungen gemacht, was für ein Typ ihr Vater ist, aber konkret wurde sie noch nicht. Doch ihr ganzes Verhalten, das ich nicht einmal richtig beschreiben kann, läßt mich zumindest vermuten, daß sie ihrem Vater nicht sonderlich wohlgesonnen ist. Und selbst bei Stephan Fink bin ich mir nicht sicher, ob er wirklich hinter seinem Vater steht oder ob er nur Angst hat, etwas zu sagen, was ihm am Ende zum Nachteil gereichen könnte, finanziell, kirchlich, wie auch immer, was dann natürlich seine Angst erklären würde. Auf mich hat er jedenfalls einen sehr zynischen Eindruck gemacht, was aber unter Umständen nur ein Selbstschutz ist. Wir sollten die Vergangenheit von Fink durchleuchten. Alles, was wir über ihn in Erfahrung bringen können. Dieser Brief an ihn, unterzeichnet mit
Jemand, der Dich nie vergessen hat und den Du nie vergessen wirst
, das ist doch ein ziemlich eindeutiger Hinweis auf seine Vergangenheit.«
Kullmer neigte sich nach vorn, die Hände gefaltet, die Arme auf die Oberschenkel gestützt. Er schüttelte nachdenklich den Kopf, sagte leise: »Angenommen, nicht Fink persönlich ist gemeint, sondern etwas aus der Vergangenheit der Familie?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Berger.
»Ich denke nur laut. Im Moment kriege ich den Gedanken nichtganz zusammen, aber ich überlege noch. Wenn ich fertig bin, sage ich es schon.« Er machte eine Pause, steckte sich einen Kaugummi in den Mund, fuhr fort: »Vielleicht sollten wir nicht nur die Vergangenheit von Fink durchleuchten, sondern auch, aus welchen Verhältnissen er stammt, was sein Vater gemacht hat …«
»Und was soll das bringen?« fragte Hellmer zweifelnd.
»Keine Ahnung«, sagte Kullmer. »Es war nur so eine Idee von mir.«
»Okay«, sagte Durant, »dann machen Sie sich mal an die Arbeit.«
»Mit andern Worten, ich soll nicht nur in Finks persönlicher Vergangenheit dunkle Stellen suchen, sondern auch Infos über seine Eltern einholen?«
»Wenn Sie sich das zutrauen. Ich denke, es wartet eine Menge Arbeit auf Sie. Ich hoffe nur, sie wird nicht umsonst sein.« Julia Durant warf einen Blick zur Uhr, zehn vor zwei, sagte: »So, dann warten wir mal auf Schneider. Mal sehen, ob der uns was zu unserem Mörder sagen kann.«
Schneider erschien pünktlich um zwei. Er machte wie üblich einen abgehetzten Eindruck, seine kleine, magere Gestalt war schweißüberströmt. Er setzte sich auf den freien Stuhl, schlug die Beine übereinander, sagte mit seiner unverwechselbar schnarrenden Stimme: »Also, meine Dame, meine Herren, was gibt es denn so Dringendes, daß Sie mich unbedingt heute noch sprechen müssen? Das Wochenende wartet nämlich auf mich.«
Berger zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück. »Ich habe Ihnen ja bereits in groben Zügen erklärt, um was es geht. Wir hätten gern Ihre Meinung gehört, mit was für einem Menschen wir es bei den beiden Morden zu tun haben.«
Schneider lächelte verkniffen, wischte sich mit einem Taschentuchden Schweiß von der Stirn, sagte: »Wissen Sie, ich kann sicher in vielen Fällen eine Analyse erstellen, doch hier«, er schüttelte den Kopf, »ich glaube nicht, daß ich Ihnen da weiterhelfen kann. Es gibt einfach zu wenig Informationen, mit denen ich etwas anfangen könnte. Oder haben Sie inzwischen mehr für mich?«
»Leider nein«,
Weitere Kostenlose Bücher