Letale Dosis
daß Raucher und Nichtraucher getrennt arbeiten. Ich habe ein detailliertes Konzept vorgelegt, das von der Belegschaft sehr positiv aufgenommen wurde. Nur Rosenzweig war wieder einmal nicht damit einverstanden. Er hat mich noch am gleichen Tag in sein Büro beordert, um mir seine Meinung zu dem Konzept darzulegen. Ich weiß nicht mehr genau, was alles gesagt wurde, auf jeden Fall endete es in einem Riesenkrach. Ich habe ihm wohl auch ein paar unschöne Dinge an den Kopf geworfen, woraufhin er mir fristlos gekündigt hat. Gut, sagte ich mir, wenn er es so will, soll er es haben. Ich habe einen befreundeten Anwalt angerufen und mich noch am selben Abend mit ihm besprochen. Er hat mir einige sehr nützliche Tips gegeben, und … Na ja, schon am nächsten Morgen hat Rosenzweig die Kündigung zurückgenommen.«
»Was für Tips waren das?«
»Ich glaube nicht, daß die Ihnen bei der Klärung Ihres Falles von Nutzen sein werden. Ich bin jedenfalls immer noch hier, und ich denke, in Zukunft wird die Arbeit um einiges streßfreier sein.«
»Hatten Sie Rosenzweig mit irgend etwas in der Hand?« fragte die Kommissarin mißtrauisch.
Kastner zögerte mit der Antwort, wieder röteten sich seine Wangen, ein Zeichen von Nervosität. Doch er schüttelte den Kopf, sah Julia Durant für den Bruchteil einer Sekunde an und sagte, ohne die Kommissarin dabei noch einmal anzusehen: »Nein, ich habe Rosenzweig nicht erpreßt, falls Sie darauf hinaus wollen.« Julia Durant glaubte ihm nicht, sein rotes Gesicht machte sie mißtrauisch, die Art und Weise, wie er den letzten Satz sagte, etwas kehlig und gepreßt, den Blick zu Boden gerichtet, als scheute er den direkten Augenkontakt, seine verkrampfte Haltung. Sie spürte, Kastner hatte etwas gegen Rosenzweig in der Hand gehabt, das diesen sofort veranlaßt hatte, die Kündigung rückgängig zu machen.
»Waren Sie jemals bei ihm zu Hause?« fragte sie.
»Der Himmel bewahre, nein. Keine zehn Pferde hätten mich jemals zu ihm nach Hause gebracht. Ich war froh, wenn ich ihn nicht zu Gesicht bekam.«
»Dann kennen Sie auch seine Frau und die Kinder nicht?«
»Nein, überhaupt nicht. Warum wollen Sie das wissen?«
»Nur so, Routine. Ich habe bereits Frau Neumann gefragt und frage jetzt auch Sie, ob Ihnen irgend jemand einfällt, der von Rosenzweig vielleicht so sehr gereizt wurde, daß er ihn umgebracht hat? Ein betrogener Ehemann, eine verschmähte Geliebte? Wissen Sie etwas über Rosenzweigs Affären?« Diesmal formulierte sie die Frage bewußt anders als bei Claudia Neumann.
»Mir ist keine Affäre bekannt. Und auch sonst, ich meine, er war nicht gerade das, was man sich unter einem Musterchef vorstellt, doch man konnte immer darauf gefaßt sein, daß er im nächsten Moment explodiert. Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen.«
»In Ordnung. Dann haben Sie vielen Dank, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben, ich werde Sie jetzt wieder Ihrer Arbeit überlassen und mich mit meinen Kollegen besprechen. Auf Wiedersehen.«
»Wiedersehen«, murmelte Kastner und machte die Tür hinter der Kommissarin zu. Drinnen lehnte er sich gegen die Tür, schloß die Augen, seine Schläfen pochten, er hatte dicke Schweißperlen auf der Stirn, obgleich es in dem Raum angenehm kühl war. Er ging hinter seinen Schreibtisch, zog die unterste Schublade hervor und nahm eine unter Akten versteckte Flasche Wodka heraus. Er schraubte den Verschluß ab, trank in schnellen Schlukken, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und legte die wieder verschlossene Flasche zurück in ihr Versteck. Er atmete ein paarmal kräftig ein und wieder aus, lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und dachte nach.
Dienstag, 14.30 Uhr
Die meisten Mitarbeiter von Rosenzweig & Partner waren von Hellmer, Kullmer und Durant befragt worden, es fehlten nur noch zwei, eine Dame aus dem Schreibbüro und Frau Gröben, die Sekretärin von Dr. Köhler. Hellmer und Kullmer unterhielten sich mit Jessica Wagner aus dem Schreibbüro, einer jungen Frau von höchstens zweiundzwanzig Jahren. Sie hatte ein ausgesprochen hübsches Gesicht, das umrahmt war von dunkelbraunem, welligem, bis weit über die Schultern fallendem Haar, große, dunkle, feurige Augen und einen lolitahaften Ausdruck, der offensichtlich besonders Kullmer auf- und gefiel. Julia Durant begab sich zu Frau Gröben, einer Mittvierzigerin, die gerade ein Telefonat auf französisch führte. Die Kommissarin blieb in der Tür stehen, wartete, bis das
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