Letale Dosis
unsere Ehe keine wirkliche Ehe mehr war. Das einzige, was uns noch zusammenhielt, waren die Kirche und die Kinder.«
Julia Durant legte den zweiten Zettel auf den Tisch. Vivienne Schönau betrachtete ihn mit zu Schlitzen verengten Augen, sagte leise und doch beherrscht: »
Kinderficker
… Heißt das, mein Mann hat …« Sie schüttelte ungläubig den Kopf, drehte sich um, ballte die Fäuste, schloß die Augen, legte den Kopf in den Nacken. »Ich kann es nicht glauben, ich kann
das
nicht glauben.«
»Gab es jemals Anzeichen dafür, Frau Schönau? Ich meine, hatten Sie jemals den Verdacht, Ihr Mann könnte sich an Kindern vergangen haben? … Vielleicht sogar an Ihren eigenen?«
»Nein«, sagte sie mit entschlossener Miene. Sie machte eine Pause, holte tief Luft, ihre Haltung entspannte sich. »Aber ich würde auch dafür meine Hand nicht ins Feuer legen. Ich würde für nichts, was ihn angeht, die Hand ins Feuer legen. Früher einmal, ja. Aber jetzt …« Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine.«
»Uns wurde gesagt, Ihr Mann hätte zu den sehr konservativen Männern in der Kirche gehört …«
Zum ersten Mal an diesem Abend lachte Vivienne Schönau auf, trocken und gewürzt mit einer Prise Sarkasmus. »O ja, in der Kirche war mein Mann das Abbild eines guten Ehemannes und vor allem eines treuen Mitglieds. Die meisten Menschen hatten großen Respekt vor ihm, aber ich frage mich manchmal, ob sie Respektvor ihm hatten oder vor seinem Geld und seiner Macht. Er konnte gut reden, er war ein perfekter Rhetoriker, der alle Tricks kannte, um Menschen mit Worten um den Finger zu wickeln … oder sie einzuschüchtern. Ich glaube, es gibt kaum jemanden in der Kirche, der jemals hinter seine Fassade geblickt hat. Nein, das hätte er nicht zugelassen. Nicht einmal ich war dazu in der Lage. Ich wußte nicht, was wirklich in seinem Kopf vorging.« Sie atmete tief ein, seufzte auf, sagte: »Bestimmt fragen Sie sich jetzt, warum ich auf einmal so von meinem Mann spreche. Ich weiß es selber nicht. Vorhin, als Laura mir gesagt hat, daß er tot ist, war ich natürlich entsetzt, es ist schon seltsam, wenn plötzlich jemand stirbt, mit dem man mehr als das halbe Leben verbrachte. Aber irgendwer muß einen Grund gehabt haben, meinen Mann umzubringen, das wird mir immer klarer. Und es ist bestimmt kein Zufall, daß erst sein bester Freund und zwei Tage später er selbst tot ist. Mais, c’est la vie.«
»Waren die beiden oft zusammen?« fragte Hellmer.
»Sie haben sich sehr oft getroffen, meist in der Kirche, aber auch beruflich. Sie waren eben Freunde. Wenn der eine Probleme hatte, hat der andere ihm geholfen, egal um was es ging.«
»Auch im geschäftlichen Bereich?«
»Keine Ahnung. Doch ich denke, auch da. Und letztendlich waren sie beide Berater des Regionshirten.«
»Moment«, sagte Julia Durant mit zu Schlitzen verengten Augen, »Ihr Mann war kirchlich in der gleichen Position wie Rosenzweig?«
»Ja, so kann man es sagen. Sie kennen die Struktur der Kirche nicht, oder?«
»Nein, aber ich würde gern mehr darüber wissen.«
»Nun, an der Spitze der Kirche steht der
Global President,
dem ein
Ältestenrat
aus fünf Ältesten zur Seite steht. Dann gibt es ein Gremium aus insgesamt hundertvierundvierzig Brüdern, das sogenannte
Gremium der Hundertvierundvierzig,
deren Aufgabees ist, jeweils etwa zwei oder drei Regionen weltweit zu überwachen, sie regelmäßig zu besuchen und, wenn es Probleme gibt, diese mit dem
Regionshirten
zu besprechen, notfalls aber auch mit dem
Global President
. Dann gibt es noch einige andere wichtige Gremien, doch das ist für Sie, glaube ich, nicht so interessant. Der
Regionshirte
ist die höchste Kirchenautorität in einer bestimmten Region. In Deutschland gibt es insgesamt fünf Regionen, also fünf Regionshirten. Diesem Regionshirten unterstehen sämtliche anderen Autoritäten in seinem Gebiet, wie zum Beispiel die
Gebietssupervisoren
und die
Gemeindehirten
.«
»Interessant. Aber lassen Sie mich noch einmal auf die Freundschaft zwischen Ihrem Mann und Herrn Rosenzweig zurückkommen – gibt es vielleicht noch einen dritten oder gar vierten Freund? Was ist mit dem Regionshirten, wie war das Verhältnis zu ihm?«
»Nun, ich möchte nicht unbedingt behaupten, daß es ein freundschaftliches Verhältnis war, aber sie haben sehr gut zusammengearbeitet. Mehr kann ich nicht sagen.« Vivienne Schönau löste sich vom Fenster, fuhr fort: »Aber
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