Letale Dosis
entschuldigen Sie meine Unaufmerksamkeit, möchten Sie etwas trinken? Orangensaft, Wasser?«
»Nein danke. Wir wollen Sie auch nicht viel länger belästigen. Aber eine Frage noch – wie stehen Sie zu Frau Rosenzweig?«
»Wir sind befreundet, wir telefonieren ab und zu miteinander, manchmal fahre ich zu ihr, manchmal kommt sie her. Ich mag Marianne, sie gehört zu den wenigen Menschen, die ihren Glauben wirklich leben. Und ich denke, für sie war es viel schlimmer, ihren Mann zu verlieren, als für mich. Sie hat sehr an ihm gehangen.«
»Ja, das sagte sie mir heute nachmittag auch … Sie sagen, Sie haben drei Kinder. Wo sind sie?«
Wieder lächelte Frau Schönau. »Unser ältester Sohn Jean-Pierrestudiert in Harvard Molekularbiologie, unsere beiden Töchter Janine und Chantal sind in einem Internat am Bodensee.«
»Salem?« fragte Hellmer.
»Ja, Salem.«
»Haben Sie schon mit ihnen gesprochen?«
»Sie meinen, ob ich ihnen schon gesagt habe, daß ihr Vater tot ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich werde nachher bei Jean-Pierre anrufen. Und morgen früh fahre ich nach Salem, um meine Töchter zu holen. Sie sollen es von mir persönlich erfahren, nicht über das Telefon. Jean-Pierre hatte nie ein besonderes Verhältnis zu seinem Vater, bei Janine und Chantal war das etwas anders … Ich werde auf jeden Fall anfangen, mein Leben neu zu gestalten. Ich denke, es warten eine Menge Aufgaben auf mich.«
»Warum«, fragte Hellmer, einer plötzlichen Eingebung folgend, »sind Ihre Töchter in Salem? Und seit wann?«
»Ich habe es so gewollt«, erwiderte sie und kniff die Lippen zusammen. »Ich wollte, daß unsere Töchter in Salem zur Schule gehen. Sie sind Zwillinge, zwölf Jahre alt. Sie sind seit zwei Jahren dort.«
»Gab es einen Auslöser dafür?« fragte Durant.
»Wofür? Daß sie eine der besten Schulen besuchen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte lediglich, daß sie auf eine gute Schule gehen. Und das war die beste, die uns angeboten wurde«, sagte sie und wirkte dabei auf einmal kühl und abweisend.
Durant und Hellmer erhoben sich. »Vielen Dank für Ihre Auskünfte und Ihre Offenheit. Wir werden bestimmt in den nächsten Tagen noch die eine oder andere Frage haben. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen. Und auch wenn mein Mann nicht der Mann war, den ich mir in den letzten Jahren gewünscht habe, so hoffe ich doch, daß Sie seinen Mörder bald finden werden. Ein Mord ist ein sehr schweres Verbrechen, und es gibt nichts, was ein solchesVerbrechen rechtfertigen würde. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung. Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Karte, da steht auch die Handynummer drauf.«
Julia Durant nahm sie, steckte sie in die Tasche, reichte Vivienne Schönau im Gegenzug ihre Visitenkarte.
»Ach ja, Frau Durant, kommen Sie auch aus Frankreich oder haben Sie Vorfahren, die in Frankreich gelebt haben?«
Durant lächelte Vivienne Schönau an, die ihr immer sympathischer wurde. »Mein Großvater kam aus Frankreich. Wir stammen von einer alten Hugenottenfamilie ab.«
»Da gibt es sicherlich viel Material, was Ihre Vorfahren angeht.«
»Unser Stammbaum reicht zurück bis ins sechzehnte Jahrhundert. Einige von ihnen sind in der Bartholomäusnacht umgekommen.«
»Ja, das war eine schreckliche Sache. Es heißt, die Seine war rot vor Blut, als die Hugenotten massakriert wurden. Aber das ist lange her, sehr lange.«
»Ja. Wir haben das zum Glück nicht miterleben müssen. So, jetzt müssen wir leider gehen; wir möchten uns vorher aber noch ein wenig mit Frau Dr. Fink unterhalten.«
»Natürlich. Sie können das gern im Wohnzimmer machen, ich gehe solange nach oben, ein paar Kleinigkeiten für die Fahrt morgen packen. Laura, kommst du bitte rein, die Polizisten möchten mit dir sprechen.«
Vivienne Schönau verließ den Raum, Laura Fink kam herein, machte die Tür hinter sich zu.
»Und, war Ihre Befragung zufriedenstellend?« fragte sie mit kühlem Lächeln.
»Wie man’s nimmt. Frau Schönau ist auf jeden Fall etwas aufgeschlossener als Frau Rosenzweig.«
»Wäre es nicht schlimm, wenn alle Menschen gleich reagieren würden? Jeder hat im Leben seine ganz persönliche Prüfungdurchzustehen, der eine verkraftet es besser, der andere weniger gut. Aber wir sind nicht hier, um zu philosophieren. Was wollen Sie wissen?«
»Setzen wir uns doch wieder«, sagte Durant. »Sie haben vorhin erwähnt, daß Sie Frau Schönau schon seit Ihrer Kindheit kennen.
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