Letale Dosis
»Die Kollegen vom KDD sollen sie verhören. Das sind die beiden, nach denen seit einem Monat gefahndet wird. Die vermißte Siebzehnjährige ist aller Wahrscheinlichkeitnach tot. Der im Krankenwagen ist nach Aussage des andern der Täter. Er muß streng bewacht werden. Das war’s von mir, ich mach mich jetzt vom Acker, alles weitere sollen die Kollegen übernehmen. Bis dann.«
Durant ging zum Haus, schloß auf, die Treppenhausbeleuchtung ging von allein an. Mit müden Schritten stieg sie die Treppen hinauf, an ihrer Wohnungstür klebte ein Briefumschlag. Sie riß ihn ab, betrat die Wohnung, knipste das Licht an. Sie warf die Tasche auf die Couch, legte den Umschlag auf den Tisch, holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank, trank sie in einem Zug leer. Sie zündete sich eine Gauloise an, stellte sich ans Fenster, sah hinunter auf die Straße, die fast immer ab zehn Uhr abends wie ausgestorben war. Einen Moment verharrte sie, zog an der Zigarette, blies den Rauch aus dem Fenster.
Ich habe zum ersten Mal auf einen Menschen geschossen
, dachte sie.
Ein paar Zentimeter tiefer, und er wäre tot.
Sie wollte den Gedanken nicht weiterdenken, drehte sich um und setzte sich auf die Couch. Sie nahm den Umschlag, holte den Brief heraus, in dem nur stand,
Ich liebe Dich. Und es tut mir leid, wenn ich Dir in letzter Zeit weh getan habe. Ich verspreche Dir, ich werde mich in Zukunft mehr um Dich kümmern. Ruf mich doch bitte morgen an, ich brauche Dich. Dein Werner.
Sie legte den Brief neben sich, schüttelte wütend den Kopf, dachte,
wozu brauchst du mich? Zum Bumsen? Scheißmänner!
Sie drückte die Zigarette aus, erhob sich, ging ins Bad, wusch sich Hände und Gesicht, betrachtete sich kurz im Spiegel und hoffte, es würde bald einen Tag geben, an dem sie mal wieder acht oder neun Stunden schlafen könnte. Sie löschte das Licht, legte sich in Unterwäsche ins Bett und rollte sich auf die Seite. In ihrem Kopf waren unzählige wirre Gedanken, Rosenzweig, Schönau, die beiden Männer, die sie vergewaltigen wollten. Um kurz nach eins fielen ihr die Augen zu. Sie schlief bis um Viertel nach sechs, als sie von einem furchtbaren Traum aus dem Schlafgerissen wurde. Sie hatte Mühe, sich zu orientieren, ihr Atem ging schwer, als läge ein bleiernes Gewicht auf ihrer Brust. Sie schaute zur Uhr, legte sich wieder hin und wartete, daß es sieben wurde, die Zeit, zu der sie immer aufstand. Sie fühlte sich miserabel, ihr Kopf schmerzte, ihr war übel. Sie hatte das Gefühl, es würde ein schlechter Tag werden. Doch sie wollte, daß es ein guter wurde.
Es liegt an dir
, sagte sie leise zu sich selbst,
es liegt ganz allein an dir.
Donnerstag, 7.50 Uhr
Polizeipräsidium. Lagebesprechung. Berger machte einen mürrischen, übernächtigten Eindruck, Julia Durant fühlte sich nach der viel zu kurzen Nacht wie gerädert, nur Hellmer und Kullmer, die kurz nach Durant kamen, schienen guter Dinge zu sein.
»Also«, sagte Berger, nachdem er sich eine Zigarette angesteckt hatte, und sah Durant an, »was haben Sie zu berichten? Außer Ihrer unheimlichen Begegnung mit den beiden Männern letzte Nacht. Die beiden haben übrigens gestanden. Gute Arbeit, Frau Durant.«
»Nicht der Rede wert«, sagte sie und fuhr fort: »Zu berichten gibt es nicht viel. Außer, daß Schönau, wenn auch nicht auf die gleiche, so doch auf eine ähnliche Weise wie Rosenzweig ermordet wurde. Der- oder diejenige scheint einen bestimmten Plan zu verfolgen, ein Plan, den wir aber bis jetzt noch nicht durchschauen …«
»Wie genau ist er umgebracht worden?« fragte Berger und nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette.
»Wir haben Morbs an den Tatort geholt, und der sagte, daß Schönau durch das Gift von Kegelschnecken getötet wurde.«
»Schnecken?« fragten Berger und Kullmer fast synchron. »Wie geht denn das?«
»Ich wollte es auch nicht glauben, aber diese Schnecken leben im Meer, in tropischen Gewässern, wie Morbs sagt. Und ausgerechnet die zwei gefährlichsten ihrer Gattung sind, wie es scheint, Schönau geschickt oder vielleicht sogar persönlich gebracht worden. Von einem oder einer Unbekannten. Hier«, sagte sie, holte die Zettel aus ihrer Tasche und reichte sie Berger. Er nahm sie in die Hand und las.
»
Liebling. Kinderficker
«, murmelte er und fuhr sich mit einer Hand übers Kinn. »Eine Frau?«
»Natürlich scheint es auf den ersten Blick eine Frau zu sein. Aber was, wenn der Mörder damit nur eine falsche Fährte legen wollte? Immerhin sind die Zeilen
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