Letale Dosis
Fällt Ihnen wirklich nichts ein, was mir ein klein wenig weiterhelfen könnte?«
Laura Fink sah die Kommissarin an, ihr Blick schien durch sie hindurchzugehen und wirkte auf einmal unendlich fern und traurig. Nach einer Weile sagte sie: »Nein, ich kann nichts sagen. Wie gesagt, fragen Sie ihn. Oder meine Mutter oder meine Brüder. Fragen Sie in seiner Kanzlei nach, in der Kirche, nur bitte, lassen Sie mich aus dem Spiel. Ich werde Ihnen zu meinem Vater keine Auskunft geben. Es tut mir leid.«
»Haben Sie solche Angst vor ihm?«
Ein bitterer Zug um die Mundwinkel verriet Laura Finks Gedanken. Sie zuckte die Achseln, sagte leise: »Ich möchte nur in Ruhe gelassen werden. Es ist allein sein Leben. Ich bitte Sie, das zu respektieren.«
»Okay, ich werde es respektieren. Aber wenn Sie mir schon nichts über Ihren Vater sagen wollen, dann vielleicht zu Rosenzweig und Schönau?«
»Was wollen Sie wissen?«
»Was für Männer waren sie? Ihr Vater ist knapp über sechzig, Rosenzweig und Schönau waren auch nicht mehr die Jüngsten. Rosenzweig und Schönau sind tot, es schadet also nichts, wenn Sie mir ein klein wenig über sie erzählen. Sie waren schließlich ihre Hausärztin.«
»Frau Durant, was ich über die beiden weiß, habe ich Ihnen bereits gesagt. Es gibt nichts weiter, was für Sie von Interesse sein könnte.« Laura Fink rutschte von ihrem Hocker, trank das Glas leer, hielt es in der Hand. »Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, aber ich möchte mich noch ein wenig ausruhen, bevor die Sprechstunde wieder anfängt. Die letzten Tage waren sehr anstrengend.«
Julia Durant trank noch einen Schluck von ihrem Wasser, stellte das Glas auf den Tresen. Als sie Laura Fink gegenüberstand, sagte sie: »Wahrscheinlich haben Sie einen Grund, weshalb Sie mir nicht helfen möchten oder können. Aber wenn Sie es sich noch anders überlegen sollten, Sie wissen, wo Sie mich erreichen können. Ich möchte einfach verhindern, daß noch ein dritter Mord geschieht.«
»Das ist Ihr Beruf«, sagte Laura Fink, ihre Stimme klang traurig. »Und mein Beruf ist es, die Kranken zu heilen. Es gibt so viele Kranke auf dieser Welt. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.«
Laura Fink drehte sich um und begab sich zur Treppe, die nach unten führte. Am Treppenabsatz blieb sie stehen, blickte sich noch einmal um. Durant nahm ihre Tasche, folgte der Ärztin ins Erdgeschoß. Bevor sie das Haus verließ, fragte sie leise, so daß keiner außer Laura Fink es hören konnte: »Sagen Sie, Sie haben vorhin von Ihren Brüdern gesprochen. Wie alt sind sie, was machen sie?«
»Meine Brüder sind beide jünger als ich; Stephan ist dreißig und Jürgen achtundzwanzig. Was Jürgen macht, kann ich nicht sagen,er ist, soweit ich weiß, arbeitslos. Er hat sich von meinen Eltern losgesagt. Stephan ist freischaffender Künstler. Wollen Sie ihre Adressen?«
»Wenn Sie so freundlich wären.«
»Warten Sie, ich schreibe es Ihnen auf. Hier«, sagte Laura Fink und reichte Durant kurz darauf den Zettel, »die Adressen. Sie brauchen nicht einmal sehr weit zu fahren. Ob Sie Jürgen allerdings antreffen, wage ich zu bezweifeln, er hält sich nicht oft zu Hause auf. Manchmal kommt er zu mir, wenn es ihm schlecht geht, manchmal sehe ich ihn wochenlang nicht. Viel Glück bei Ihrer Suche.«
Die Sprechstundenhilfe machte ein paar Eintragungen auf Karteikarten, zwei Patienten saßen im Wartezimmer, obgleich die Sprechstunde erst in mehr als einer Stunde begann. Sobald die Kommissarin die Tür öffnete, die ins Freie führte, schlug ihr die Hitze wie eine Faust ins Gesicht. Am Auto angelangt, holte sie eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündete sie an. Sie kurbelte die Fenster herunter, blieb eine Weile an den Wagen gelehnt stehen, inhalierte, blies den Rauch durch die Nase, dachte nach. Sie war sicher, es gab etwas im Leben von Karl-Heinz Fink, das ihn zur Zielscheibe des Mörders machte. Und Laura Fink kannte diese Stelle im Leben ihres Vaters. Aber sie sprach nicht darüber. Oder wollte nicht darüber sprechen. Oder sie hatte Angst, es zu tun.
Als sie ihre Zigarette zu Ende geraucht hatte, warf sie die Kippe auf die Straße und stieg in den Corsa. Sie nahm das Telefon, wählte die Nummer von Vivienne Schönau. Das Hausmädchen meldete sich, sagte, Frau Schönau würde gegen fünf wieder zu Hause sein. Julia Durant schaute zur Uhr, Viertel vor zwei. Sie beschloß, einen kurzen Abstecher ins Präsidium zu machen, danach zu Jessica Wagner zu fahren und es
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