Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Kissen?«, fügte Noah hinzu.
Letties Mutter lächelte, das sah Lettie daran, wie ihre Brille nach oben rutschte.
»Sie werden eine Weile brauchen, um uns zu finden«, sagte sie. »Und selbst wenn sie uns finden – wir sind in Sicherheit. Die Tür zur Wendeltreppe müsste immer noch zugefroren sein. Ich schau gleich mal nach.«
Sie rannte hinaus. Lettie und Noah folgten ihr. Blüstav zerrten sie an den Ranken, die immer noch um ihn herumgeschlungen waren, hinter sich her. Ob er wollte oder nicht, er wurde mitgeschleift, stieß sich an jedem Türrahmen den Kopf und blieb an jedem Kandelaber hängen. Aber er stöhnte kein einziges Mal, zu sehr fürchtete er sich vor Letties Mutter.
Lettie legte an Tempo zu und versuchte mit ihrer Mutter Schritt zu halten. Trotzdem konnte sie nicht anders, als durch jede Tür zu spitzeln, an der sie vorbeikamen. Und es gab Dutzende Türen. In einem Zimmer stand ein großes silbernes Spinnrad, das völlig verbogen und verdreht war. In einem anderen Raum sah Lettie eine Ansammlung von gläsernen, glockenförmigen Röhren, von denen die meisten zerbrochen waren. Schließlich gelangten sie zu der blauen Tür, die Blüstav viele Jahre zuvor mithilfe des Äthers zugefroren hatte.
Letties Mutter zeigte auf die dicke Eisschicht. »Seht ihr? Wir sind hier in Sicherheit.«
»Du meinst wohl, wir sind gefangen«, brummte Blüstav. »Es gibt keinen Weg nach draußen.«
Letties Mutter drehte sich zu ihm um, und er verstummte.
Lettie war die Tür herzlich egal. Sie wollte endlich die Geschichte hören. Und ihre Mutter wusste das.
»Na los«, sagte sie. »Lasst uns wieder ins Labor gehen, uns in die Sessel kuscheln und versuchen zu vergessen, wer vielleicht die Stufen zu uns hochgekrochen kommen könnte. Ich erkläre dir alles, Lettie, und Blüstav macht uns einen Tee.«
Also gingen sie alle vier wieder ins Labor zurück, wo einladende Lehnsessel auf sie warteten. Noah ließ sich Teeblätter und Zimt wachsen, und Letties Mutter machte Feuer unter dem Kessel. Schon bald loderten die Flammen empor. Nach all den Stunden in den kalten, klammen Wolken konnte Lettie spüren, wie die Feuchtigkeit endlich aus ihren Knochen vertrieben wurde. Sie kauerte sich in ihren Sessel und staunte darüber, wie der Raum trotz des Feuers so eisüberzogen bleiben konnte.
Sie hatten kein Wasser. Daher zerbrach Letties Mutter eine Fensterscheibe und ließ die Eisglasscherben im Kessel schmelzen. Blüstav schwebte über dem Kessel und rührte mit seinem großen Löffel darin herum. Schließlich tauchte Lettie die Tassen ein und reichte Noah und ihrer Mutter den Tee. Ihre Mutter trank ihn allerdings nicht, sondern holte einen Strohhalm aus dem Mantel und saugte damit den Dampf ein. Noah und Lettie lehnten sich in ihren Sesseln zurück, nippten vom Tee und seufzten, glücklich darüber, dass ihnen endlich, endlich wieder warm wurde.
»Erzähl sie mir, Mama«, sagte Lettie. »Erzähl mir die ganze Geschichte vom Schnee.«
»Es ist nicht die Geschichte vom Schnee«, widersprach ihre Mutter. »Es ist deine Geschichte. Aber eines muss ich vorher noch wissen: Wo ist dein Vater?«
Lettie holte die Flasche hervor und zeigte sie ihrer Mutter.
»Oh, mein Liebster«, sagte diese traurig. »Du hast dich wirklich gehen lassen. Wie konnte das denn passieren?«
»Blüstav hat ihn verwandelt«, erklärte Lettie.
»Das meine ich nicht. Ich meine, bevor er sich in eine Bierflasche verwandelt hat. Wie konnte er aufhören, sich um dich zu kümmern? Er hat dir das Leben ziemlich schwer gemacht. Du warst nicht die Tochter des Gastwirts, sondern er war der Vater der Gastwirtin.«
»Ja.« Lettie ließ ihren Vater wieder in die Jackentasche gleiten, damit er sich aufwärmte. »Ich bin seine Wirtin, und ich werde ewig auf ihn aufpassen.«
»Das musst du nicht«, sagte ihre Mutter streng. »Er wird sich ändern müssen, Lettie. Wir werden wieder eine richtige Familie werden. Würde dir das gefallen?«
»Mehr als alles andere«, erwiderte Lettie. »Aber geht das auch wirklich? Wir sind schon so lange keine Familie mehr.«
Ihre Mutter schwieg einen Augenblick.
»Du liebst deinen Vater doch immer noch, stimmt’s?«, fragte sie dann. »Trotz allem, was er dir angetan hat.«
Lettie fühlte das Gewicht der Flasche in ihrer Tasche und nickte.
»Dann kann es auch klappen«, sagte ihre Mutter überzeugt. »Wieder eine richtige Familie zu werden … Nun ja, das ist höhere Alchemie, mit der ich mich nicht mehr wirklich auskenne. Mit der
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