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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Gayton
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wiederholte für den Fall, dass ihr Vater es nicht gehört haben sollte: »Mehr als alles andere.«
    »Ich hoffe, es ist bei ihm angekommen.« Noah lachte. »Auch wenn er keine Ohren hat.«
    Lettie lächelte. Noah mochte vielleicht einer der schlauesten Menschen auf der Welt sein, aber eines vergaß er wohl: Es gab Dinge, die musste man nicht hören. Die musste man nur wissen und spüren. Und Liebe gehörte eindeutig dazu.
    Der Ballon stieg in die Wolken. Lange Zeit war um sie herum nichts anderes zu sehen als weißer Dunst. Der Wind legte sich völlig und sie trieben stundenlang dahin, die Gesichter klamm vor Kälte, die Kleider feucht. Lettie konnte nicht mal mehr Blüstav über ihnen erkennen, dafür hörte sie ihn immer wieder niesen.
    »Ich hab mir eine scheußliche Erkältung eingefangen!«, jammerte er.
    »Das kommt davon, wenn man sich zehn Jahre lang selbst einfriert!«, gab Lettie zurück. »So was passiert dann eben beim Auftauen!« Von ihr hatte der Alchemist kein Mitleid zu erwarten.
    Blüstav schmollte und schwieg.
    »Meinst du, wir sind bald da?«, fragte Noah.
    »Ich glaube schon«, sagte Lettie. »Wo auch immer ›da‹ sein mag.«
    Sie bebte innerlich vor Aufregung. Ihre Mutter war nah, so nah! Auch das gehörte inzwischen zu den Dingen, die sie einfach wusste und spürte.
    Plötzlich verdunkelte sich alles um sie herum, als wären sie in eine schwarze Wolke eingetaucht. Aber der Dunst wurde dünner. Lettie hielt den Atem an. Sie ahnte, dass gleich etwas passieren würde.
    Mit einem Ruck kam der Ballon zum Stehen. Lettie griff in der Tasche nach ihrem Vater. Atemlos hingen sie in der Luft.
    Blüstav fluchte, während die Nimbostratus-Wolke donnergrollte. »Warum stehen wir?«, fragte er. »Sind wir gegen ein Hindernis geprallt?«
    »Ja«, antworteten Lettie und Noah wie aus einem Munde. Sie starrten nach vorn, wo so etwas wie eine schwarze Blase aus dem Dunst auftauchte.
    »Was ist das?«, schrie Blüstav.
    Lettie rieb sich die Augen. Die Ranken hatten sich an einem großen gusseisernen Kessel verfangen, unter dem ein riesiger Blasebalg lag.
    »Berühre ihn«, sagte Noah. »Damit wir sicher sein können, dass er echt ist.«
    Langsam beugte sich Lettie über den Rand des Koffers, streckte vorsichtig eine Hand aus und berührte den Blasebalg. Echt. Es war alles echt.
    Früher hätte Lettie wohl gerufen: »Unmöglich!« Aber in den vergangenen zwei Tagen hatte sie gelernt, dass es so etwas wie »unmöglich« nicht gab. Sie glaubte einfach nicht mehr daran.
    Und so sagte sie jetzt nur: »Und was hat das zu bedeuten?«
    »Was hat was zu bedeuten?«, fragte Blüstav ungehalten.
    »Drück den Blasebalg«, sagte Noah. »Vielleicht verzieht sich der Dunst dann ja und wir können erkennen, womit wir es zu tun haben.«
    Also begann Lettie den Blasebalg auf und ab zu bewegen. Und das war gar nicht so einfach, wenn sie nicht aus dem Koffer fallen wollte. Langsam lichtete sich der Nebel, und sie erkannten, dass sie sich in einem Raum befanden!
    »Aber das ist doch unmöglich!«, bellte Blüstav, als er sah, wo sie waren.
    Lettie schaute sich verwundert um.
    Sie waren in einem Labor – einem Labor ganz aus Eis gemacht, mit einer hohen Decke und durchscheinenden Wänden, die von Äther-Adern durchzogen waren. Hinter ihnen befand sich ein großes, offenes Fenster, durch das sie wahrscheinlich hineingeschwebt waren.
    Kein Wunder, dass es plötzlich so dunkel wurde , dachte Lettie.
    Der Kessel mitsamt dem Blasebalg stand in der Mitte des Raums. Entlang der vier Wände waren Regale mit leeren Flaschen, Schachteln und Phiolen aufgestellt. Auf dem Boden lagen Bücher und alte Blätter verstreut.
    Lettie ließ sich aus dem Koffer plumpsen und landete auf dem Eisboden. Noah folgte ihrem Beispiel. Gemeinsam gingen sie zum Fenster und schauten mit wild pochenden Herzen nach draußen.
    Bis zu diesem Augenblick war Eis für Lettie etwas Hässliches, Trügerisches gewesen. Es wuchs an Fensterscheiben empor und hinderte sie manchmal tagelang daran, nach draußen zu sehen. Das Eis, das sie bisher gekannt hatte, war auch wirklich hässlich gewesen: schmutzig braun und eklig grau, vollgesogen mit Schlick, Ruß, Küchenfett, Kohlestaub und Bier. Lettie hätte sich nie vorstellen können, dass Eis auch schön sein könnte.
    »Oh«, staunte sie jetzt.
    Das Laboratorium war in die Spitze eines monströsen Eisbergs geschnitzt. Unter ihnen lagen wild zerklüftete Eisfelsen und das juwelenblaue Meer. Gleißend helle Kuppeln mit

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