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Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Gayton
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eingehaucht zu bekommen.
    Vielleicht hätte Lettie damit hadern können, ihre Mutter sei nicht Teil ihres Lebens gewesen. Aber Teresa hatte sie aus dem Kessel gehoben. Sie war da, als Lettie ihre ersten Schritte machte und ihr erstes Wort sagte (»Papa«, was Teresa insgeheim ziemlich eifersüchtig machte). Zu dritt erlebten sie Tage mit Haferbrei und Tee, Schlafliedern und Kuschelstunden. Teresa staunte angesichts der Alchemie, die Lettie ins Gasthaus Zum Schimmel gebracht hatte: Henry hatte sich in einen Vater verwandelt, Teresa in eine Mutter.
    Aber dann geschah etwas, was ihr beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ: Periwinkle wurde krank.
    Am Anfang färbten sich nur seine Krallen grau. Henry bemerkte es nicht einmal, Teresa schon. Jeden wachen Augenblick verbrachte sie damit, Periwinkle zu beobachten. Sie zählte seine Herzschläge, lauschte seinem Atem, studierte seine Krankheitssymptome. Sie registrierte jede Veränderung seines Körpers. Er wurde glatter, schwerer, grauer. Und gegen Ende der Woche kam Teresa zu dem unausweichlichen Schluss, dass ihre Alchemie, egal wie genial sie auch sein mochte, langsam entwich. Periwinkle verwandelte sich wieder zurück in einen Stein.
    Aber warum?
    Eine weitere Woche voller Tests und Beobachtungen später kannte Teresa die Antwort: Es lag an Albion. Dies war nun mal das Land des Schiefers, des Kopfsteins, des Granits, und es umgab Periwinkle von allen Seiten. Jedes Schieferdach, jede kopfsteingepflasterte Straße, jede Granitmauer und jeder Kiesstrand drängte ihn: »Verwandel dich zurück, verwandel dich zurück …« Es würde lange dauern, aber irgendwann, Jahre später, wäre Periwinkle wieder ein Stein.
    Und wenn es bei ihm passierte, dann bedeutete es, dass es Lettie genauso ergehen konnte.
    Letties Mutter schrieb ihre Gedanken nieder. Und der Text lautete:
        Warum Periwinkle versteinert
    Man nehme zwei gleiche Gläser, das eine voll mit Wasser, das andere leer. Dann lege man einen Eiswürfel in jedes Glas und warte gespannt. Was wird passieren?
    Der Eiswürfel, der vom Wasser umgeben ist, wird sehr schnell schmelzen und sich auflösen.
    Und genau dasselbe geschieht mit Periwinkle: Von so viel Gestein umgeben, löst er sich allmählich wieder auf.
    Seit diesem Tag wurde Stein zu Teresas Feind. Ständig suchte sie nach Möglichkeiten, ihn loszuwerden. Sie tat alles, um ihn von ihrer Tochter so fern zu halten wie nur irgend möglich, damit diese nicht auch versteinerte.
    »Es muss einen Weg geben.« Sie grübelte und grübelte. »Es muss einfach.«
    Und es gab einen.
    Er war nur noch nicht erfunden worden.
    Eines Abends packte Letties Mutter ihren Koffer, setzte sich Periwinkle auf die Schulter und stieg durch das Fenster des Gasthauses Zum Schimmel , um sich auf die Suche nach Blüstav zu machen. Sie fand ihn in seinem Labor, wo er immer noch auf seinem Stuhl saß, fast als hätte er sich dort nie wegbewegt.
    Teresa dachte damals, es sei doch ziemlich jämmerlich, wie er da saß und auf sie wartete, wie ein Hund. Aber in Wahrheit wartete er geduldig wie eine Spinne, bereit, jederzeit zuzuschlagen und schreckliche Rache zu üben.
    Gemeinsam fuhren sie auf den Ozean hinaus, um auf dem Gipfel eines Eisbergs ein Labor einzurichten. Darin schrieb Teresa das Rezept für Schnee auf, die Erfindung, die ihrer Tochter das Leben retten sollte. Und diese Erfindung war ganz schlicht: Letties Mutter dachte sich den Schnee wie eine Decke, die den steinigen Boden bedecken würde. Eine Decke für Lettie, damit diese darüber laufen konnte, ohne jemals Angst vor dem Versteinern haben zu müssen. Teresa ließ Blüstav alle Zutaten besorgen, dann machte sie sich an die Arbeit.
    Ein Jahr lang arbeitete sie Tag und Nacht an ihrer Erfindung. Sie ließ ihr silbernes Spinnrad wirbeln und ihre Eiszapfennadel tanzen, bis schließlich die Nacht kam, in der der Schnee vollendet werden sollte. Letties Mutter legte das Rezept beiseite, sah zu der Nimbostratus-Wolke hoch, die sie erschaffen hatte, und lächelte: Es war vollbracht. Jetzt konnte sie dem Eisberg-Labor endlich den Rücken kehren und die Schneewolke nach Hause bringen.
    Und genau das hätte sie auch getan – aber dann beging sie einen einzigen, schrecklichen Fehler.
    Sie schlief ein.
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, befiel sie grenzenloses Grauen. Blüstav war mit dem Schnee auf und davon. Er hatte das silberne Spinnrad und die Glasbehälter zerbrochen. Er hatte alle alchemistischen Substanzen mitgenommen und die

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