Letzte Ausfahrt Oxford
Arbeit am Roman zu absolvieren. Als sie fertig war, wechselte sie in ihre Datei Notizen und füllte den Bildschirm mit den Beobachtungen des Tages.
St. Luke’s College Bibliothek. Unsympathischer Ort mit einer hochklassigen Pornografie-Sammlung.
Bibliothekar heißt Francis Tabbot. Es ist leicht, ihn nicht zu mögen, zumal er einen ständigen Kleinkrieg gegen seine Leser zu führen scheint. Steht mehr auf Federhalter als auf Computer. Weiß vermutlich einiges über Bücher und ihren Wert.
Mick Ennis, Bibliotheksassistent. Reißt mich auch nicht gerade vom Hocker. Er hat etwas zu verbergen, und zwar vermutlich eine eher klebrige Angelegenheit. Ich wäre überrascht, wenn er Intelligenz oder Initiative aufbrächte, einen ehrgeizigen Coup zustande zu bringen. Trotzdem würde es mir gefallen, wenn diese beiden kriminell wären.
Sie bearbeitete ihre Notizen so, dass sie Gnade vor Andrews Augen finden würden, und sicherte beide Varianten. Anschließend ging sie mit einer Ausgabe von Mary Shelleys Frankenstein zu Bett.
Als sie am nächsten Morgen im St. Luke’s ankam, wurde ihr mitgeteilt, dass der Finanzverwalter sie zu sprechen wünschte. Sie überquerte den Hof und meldete sich in den Büroräumen des Colleges.
»Er telefoniert gerade«, sagte ein junges Mädchen hinter seinem Bildschirm hervor. »Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Kate spazierte in dem kleinen Vorzimmer auf und ab. Der Blick aus dem Fenster wartete mit grünem Samtrasen und einer Sonnenuhr an der Mauer gegenüber auf. Vor ihr auf dem Fensterbrett stand ein Kaffeebecher. Er war mit einem großen »J« geschmückt und stand voller gelber und cremefarbener Freesien.
»Wie hübsch«, bemerkte sie, nur um etwas zu sagen. »Und wie gut das riecht.«
»Das waren ihre Lieblingsblumen. Ich stelle immer einige in ihren Kaffeebecher. Das erinnert mich an sie.«
Kate betrachtete das Mädchen am Schreibtisch genauer. Sie war etwa in den Zwanzigern, mit blasser, glänzender Gesichtshaut, kleiner Nase, vollen Lippen und schlecht geschnittenem, mausbraunem Haar. Über ihrem undefinierbaren Kleid trug sie eine handgestrickte Jacke. Du liebe Zeit!
»Wofür steht denn das ›J‹?«, fragte Kate.
»J wie Jenna«, antwortete die junge Frau. »Sie ist jetzt schon fast ein Jahr tot, aber ich möchte gern sicherstellen, dass sie nicht vergessen wird. Es ist schon schlimm genug, so jung zu sterben. Wenn man aber dann auch noch in Vergessenheit gerät, wird es ganz besonders sinnlos, finden Sie nicht?«
»Hat sie hier gearbeitet?«, wollte Kate wissen.
»Ein paar Wochen nur, drüben in der Bibliothek. Sie war Praktikantin, wissen Sie. Praktikanten durchlaufen für einen oder zwei Monate mehrere Bibliotheken, um sich auf die Vielschichtigkeit ihres Jobs vorzubereiten. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass sie dabei viel lernen, aber immerhin verhilft es ihnen zu einiger praktischer Erfahrung, ehe sie in die Seminare zurückgehen und ihre Nasen wieder in Lehrbüchern vergraben.«
»Wo ist sie denn sonst noch gewesen?«, hakte Kate nach.
Die junge Frau wollte gerade antworten, als die Tür hinter ihr geöffnet wurde, ein Mann erschien und sagte: »Tut mir Leid, dass ich Sie habe warten lassen, Miss Ivory. Wenn Sie jetzt bitte näher treten würden …« Und dann musste Kate Fragen über Kranken- und Rentenversicherungen beantworten, die sie überhaupt nicht interessierten.
Möglicherweise hatte Jenna gar nichts mit den verschwundenen Einträgen zu tun, aber alle Antworten über sie waren so ausweichend ausgefallen, dass Kate jetzt einfach mehr wissen wollte.
Als sie ins Vorzimmer zurückkam, war die junge Frau nicht mehr da. Nur die Initiale J auf dem Kaffeebecher und ein zarter Freesienduft erinnerten noch an Jenna.
Weil ein gewisses Risiko bestand, dass Tabbot oder Ennis mithörten, wenn Kate mit Andrew telefonierte, rief sie ihn nur kurz an und machte mit ihm ein Treffen nach der Arbeit in der Krypta aus. Zwar würde es vielleicht Gerede geben, dass sie und Andrew ein Paar wären, aber damit könnten sie vermutlich beide ganz gut leben. Und falls Liam das Gerücht zufällig mitbekam und ihm Bedeutung beimaß, würde das eventuell ein bisschen mehr Pep in ihre Beziehung bringen. Der Gedanke allerdings, er könne davon hören und es wäre ihm egal, war umso bedrückender.
Kate begann, die Bücher abzuarbeiten, die sie zuvor in der Lehrbücherabteilung auf ihren Handwagen geladen hatte. Als sie ihren Nachmittag zur Hälfte geschafft hatte,
Weitere Kostenlose Bücher