Letzte Beichte
lange angeschaut – leise lächelnd, mit den furchteinflößenden Augen eines Rudelführers.
Jeremy setzte sich auf, in seinem Kopf hämmerte es. Was würde jetzt geschehen? Würde ihn der Kleiderschrank vergewaltigen? Würde Billy ihn festhalten, während der andere ihm seinen dreckigen Schwanz in den Hintern schob? Oder andersherum? Oder beides?
Er schaute dem großen Gefangenen über die Schulter. Auf dem Treppenabsatz stand ein Wächter, aber der zwinkerte bloß. O Gott, beide plus Wache, alle drei. Scheiße, Mann. Scheiße.
»Billy hier kennt deine kleine Freundin«, sagte der Kleiderschrank. Er hatte immer noch das Psychopathengrinsen im Gesicht.
»Was?« fragte Jeremy und versuchte, seine Panik zu bezwingen.
»Deine Freundin vom Sozialamt, Krissie Donald.«
»Ach ja?« Jeremy fiel nichts weiter zu sagen ein. Wie sich herausstellte, war das auch nicht nötig, denn jemand anders hatte seine Rolle in diesem Drehbuch schon geschrieben.
»Billy hier hat mit ihrem Freund vor ein paar Jahren in der Küche gearbeitet. Stimmt’s, Billy?«
Billy antwortete nicht.
»Billy sagt, dass der Typ überall in seiner Zelle Fotos von ihr gehabt hat. War richtig verliebt, Billy, hab ich recht? Billy ist immer noch sein Freund. Stimmt’s, Billy?«
Billy hatte immer noch nichts zu sagen.
»He, Billy! Ihr seid immer noch Kumpel, oder?«
»Ja«, lautete die verschüchterte Antwort.
»Weiß alles über ihn, wo er wohnt, und so. Also auch, wo sie wohnt. Ich schätze mal, diese Freundschaft könnte bald ganz nützlich werden.«
Billy sah von seiner oberen Pritsche zu, wie der Kleiderschrank Jeremy in Bauch, Kopf, Beine, Arme trat. Er rührte sich nicht.
Jeremy erinnerte sich an das Gefühl von Faustschlägen, die auf sein Gesicht, seine Knie, seine Eier niederprasselten. Er hatte sein letztes Stündlein schlagen hören, und es hätte vermutlich auch geschlagen, wenn er nicht ›Ja‹ gesagt hätte.
Ja, er habe verstanden, dass sie nur flüchtig durchsucht werde.
Ja, Billy würde bestimmt bald herauskommen.
Ja, er würde sie dazu bringen, den Stoff in den Knast zu schmuggeln.
Ja, wenn nicht, würde der nächste Besuch nicht so angenehm ausfallen.
Jeremy sah Krissie während der gesamten zweiten Befragung an und dachte über ihre familiären Verhältnisse nach. Sie hatteihm von ihrem Sohn erzählt. Sie hatte ihm gesagt, dass auch sie in jemanden verliebt sei und verstehe, wie schwierig es für ihn sein müsse. Es war klar, dass sie nett und naiv war und dass es in ihrem Leben Liebe und Hoffnung gab.
Und weil er es nicht fertigbrachte, verließ er den Raum.
Aber danach waren es nicht nur Prügel. Es war genauso schlimm wie in seinen wildesten Vorstellungen.
Doch das Schlimmste war nicht der Schmerz oder dass man ihn festhielt oder dass man einen Portionsbecher Flora-Light-Margarine vom Mittagessen auf seinem Weißbrot verstrich, während sein Mund mit einer alten Socke geknebelt war. Das Schlimmste und Schrecklichste war, dass Jeremy mittendrin eine Erektion bekam. Wann immer Jeremy an sein zwanzigminütiges Martyrium dachte (und er wachte oft schweißgebadet mit dieser Erinnerung auf), dann war es dieses Detail, das ihn wütender als alles andere machte. Während er von einem hässlichen, stinkenden, gefährlichen Kerl brutal vergewaltigt worden war (und ein krimineller Junkie von der oberen Pritsche aus zugesehen hatte), hatte er irgendwie einen Steifen bekommen.
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17
Etwas war anders, als Jeremy zur dritten Befragung in den Besuchsraum kam.
»Sie sehen etwas besser aus«, log ich. Er hatte frische Prellungen und wirkte wie ein gebrochener Mann.
»Danke«, sagte er und ließ sich vorsichtig auf seinen Stuhl nieder.
Ich entschied mich, ihm wegen der Prellungen nicht weiter zuzusetzen. Es war sinnlos. Sobald er dazu bereit war, würde er mit jemandem darüber sprechen. Stattdessen verbrachte ich die nächsten zwanzig Minuten mit der ›abschließenden Befragung‹. Dazu gehörte, dass ich meinen bisherigen Bericht durchging und, wo nötig, Änderungen vornahm. Mir gefiel das ganz und gar nicht, aber er hatte ein Recht zu hören, was ich über ihn geschrieben hatte. Ich stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn mir jemand seine Version meiner Lebensgeschichte vorläse. Angekotzt ohne Ende – das wär’s, wie ich mich fühlen würde. Aber völlige Offenheit war das einzig Richtige, und so kämpfte ich mich durch meinen Text, nachdem ich Jeremy gebeten hatte, mich zu unterbrechen, falls bei ihm
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