Letzte Beichte
lachten. Sie stöhnten das glorreiche Stöhnen der Sozialarbeiter. Sie wussten, wie man aus Benzinquittungen und Überstundenlisten das meiste herausschlug. Vor allem aber hatten sie Zigaretten. Ich befand mich nämlich noch im unschuldigen Stadium des Raucherdaseins, soll heißen: Ich war noch nie in einer Menschenmenge auf- und hatte meine Sucht eingestanden. Soll auch heißen: Ich hatte noch nie welche gekauft.
So verstrich meine erste Woche, und als sie zu Ende ging, war ich zu einer saucoolen – wenn auch etwas zu teilnahmsvollen – Bewährungshelferin geworden, zu einer Raucherin und zu einer fast so pflichtvergessenen Mutter wie Mrs. Bagshaw.
Es kam mir vor, als ob Robbie drei Meter gewachsen sei und mindestens hundert neue Wörter gelernt habe, als ich am Freitag nach der Arbeit nach Hause kam. Er rannte nicht auf mich zu, um mich zu umarmen und nie wieder loszulassen. Er sah nur kurz zu mir hoch und fuhr fort, mit Chas einen Feentrank zu brauen. Bislang hatten sie Mehl mit Backpulver, Wasser, Nesquik (Schokolade und Banane), Haferflocken und Honig vermischt, und nun überlegten sie, was als Nächstes hinzukommen solle.
»Loganbeeren!« sagte Robbie.
Dieses Wort hatte er noch nie zuvor ausgesprochen. Offen gestanden: Die wenigsten Leute aus meiner Bekanntschaft hatten das getan.
»Woher kennst du Loganbeeren?« fragte ich, aber zum Antworten war er viel zu beschäftigt. Chas und er waren nämlich zu dem Schluss gekommen, dass die Feen in ihrem vertrockneten Wald einen Spritzer Schaumbad bevorzugen würden.
Ich spiele in Robbies Leben keine Rolle mehr, dachte ich und seufzte. Ich war jeden Tag weg, und er war mit anderen Menschen zusammen: Er lernte von ihnen, verbrachte Zeit mit ihnen, veränderte sich. Als ich ihn später badete, wurde mir klar, dass es nicht so sehr auf die Qualität als auf die Quantität der Zeit ankommt, die man miteinander verbringt. Wir warenschlichtweg zu selten zusammen. Wie Jeremys Mutter hatte ich mich aus seinem Leben zurückgezogen.
»Ach, Quatsch!« sagte Chas nach der Gutenachtgeschichte und unserer Familienumarmung. »Jede Mutter macht das durch. Das ist ganz normal. Du bist eine wunderbare Mum, und Robbie vergöttert dich. Du bist bloß erschöpft. Jetzt ist Freitag und du hast zwei ganze Tage mit Robbie vor dir.«
Am nächsten Morgen ging Chas ins Atelier, und Robbie und ich machten Pfannkuchen und eine gewaltige Unordnung. Er saß kerzengerade auf der Küchenbank (ein Geschirrtuch steckte in seinem »Ich-bin-leicht-abzulenken«-T-Shirt) und schlug drei Eier an einer Glasschüssel auf. Das erste landete auf dem Boden, aber das letzte öffnete Robbie mit der Grazie eines echten Fernsehkochs – ein präziser Schlag aus dem rechten Handgelenk, die linke Hand nähert sich zur Zerteilung, ein schneller Aufwärtsruck, und voilà: ein perfektes, schalenloses Ei in einer Schüssel! Zur Feier des Tages sangen wir ein selbstgemachtes Lied – etwas wie »Donald-Eierknacker sind die besten Eierknacker auf der Welt«. Es war toll.
Danach gingen wir in den Park und warfen den Enten verbrannte Pfannkuchenstücke zu. Dann gingen wir ins Verkehrsmuseum, und ich schaute zu, wie Robbie von der Straßenbahn zum Bus zum Fahrrad zum Auto zur historischen-Straßenszene-mit-zeitgenössischer-Untergrundbahn-Station lief. Es war ein famoser Tag voller Spaß und Gelächter. Zur Schlafenszeit fragte ich Robbie, was ihm am meisten gefallen habe, und er sagte: »Alles, Mami.« Dann umarmte er mich so fest, dass ich vor Glück am liebsten geweint hätte.
[Menü]
16
Nach seiner ersten Befragung durch Krissie Donald war Jeremy in seine Zelle zurückgekehrt und hatte überrascht festgestellt, dass der Wärter, der ihn begleitet hatte, seine Zellentür nicht abschloss.
Er ging zu seiner Pritsche, um darüber nachzudenken, was er mit Krissie besprochen hatte – seine Liebe zu Amanda, wie sehr er sie vermisste, dass er sie nie wiedersehen konnte. Die Sozialarbeiterin hatte ihm angeboten, bei einem Besuch dabei zu sein, falls ihm das die Sache erleichtern würde, aber er hatte abgelehnt. Er konnte Amanda einfach nicht sehen, punktum. Es war zu schwierig.
Während er nachgedacht hatte, war ein unbeaufsichtigter Gefangener in seiner Zellentür erschienen: vernarbt, furchteinflößend, breit wie ein Schrank. Er war Jeremy schon früher aufgefallen – im Innenhof, auch im Besuchsbereich für Offizielle. Vorhin hatte er in dem Befragungsraum auf der anderen Seite des Ganges gesessen und Jeremy
Weitere Kostenlose Bücher