Letzte Beichte
zerrissen, zerknüllt und aus dem Fenster geworfen hätte? Hätten meine Probleme sich in Luft aufgelöst? Dieses Ding, das mir alles kaputtmachen konnte – meinen Job, meine Beziehung, alles. Wäre es verschwunden?
Einen Versuch ist es wert, dachte ich und zerriss ihn, zerknüllte ihn, warf ihn erst an die Wand und dann in den Müll.
In der Zwischenzeit lief Robbie in sein Zimmer, wo er eine Kiste voller Züge und Schienen auf den Boden entleerte und zu spielen begann. Nach einer Nacht außer Haus konnte er es anscheinend kaum erwarten, mit seinen eigenen Sachen zu spielen. Er wurde Tag für Tag hübscher, sein Haar immer blonder und lockiger, und weil er immer lächelte, war sein Mund eine einzige strahlend weiße Fläche. Er hatte Grund zum Lächeln gehabt. Bis vor wenigen Tagen waren sein Vater und seine Mutter das glücklichste Paar der Welt gewesen. Alles hatten sie gemeinsam gemacht. Hatten sich zu jeder Mahlzeit an den Tisch gesetzt, hatten jeden Einkauf zu dritt unternommen (Hand in Hand, mit vielen »1-2-3-Hopsassa!«). Robbies Schlafenszeit war Knuddelzeit für die ganze Familie gewesen, gleich nach der Gutenachtgeschichtenzeit für die ganze Familie. Und Baden war auch lustig, mit Rauschebärten aus Badeschaum und Rutschen für die Teletubbies. Sein Leben war gut.
Aber diese Fotos – die mich zeigten, wie ich Danny im Flur küsste, Speed im Badezimmer schnupfte, einen Joint rauchte –, diese Fotos konnten alles zerstören. Dies konnte der Moment sein, an dem ich – wenn ich später mal einen Bericht überRobbie schreiben musste, weil er in einem geklauten Auto herumgefahren war oder sich beim Fußball geprügelt hatte – »Ach so!« sagen würde (im Stillen). »Ach so! Deswegen bist du so geworden. Als du drei warst, hat deine Mutter eine Affäre angefangen. Sie war drogenabhängig. Und dein Stiefvater, der dich von ganzem Herzen liebte, ging fort und wurde niemals wieder gesehen.«
Ich verbrachte Stunden unter einer Dunstglocke aus Besorgnis. Ich putzte wie eine Besessene und versuchte, Robbie zu bespaßen, der unaufhörlich nach seinem Vater fragte.
»Er malt«, sagte ich. »Er ist sehr beschäftigt.«
Nachdem ich Robbie ins Bett gebracht hatte, rief ich ungefähr hundertmal bei Chas an und hinterließ dieselbe Anzahl von Nachrichten. Sprich mit mir, verzeih mir, ich bin nicht ganz bei Trost, ich hätte mich nicht betrinken sollen, das erste Mal seit zwei Jahren, entschuldige bitte, sprich mit mir, ruf mich an, ruf mich an, antworte, heb ab, bist du bei ihr, vögelst du mit ihr, entschuldige, sprich mit mir, hätte das nicht sagen sollen, habe noch was getrunken, hätte ich besser nicht getan, ich bin nicht ganz bei Trost, sprich mit mir, verzeih mir, du bist bei ihr, stimmt’s …
Es war wirklich kein Wunder, dass Chas an diesem Wochenende nicht nach Hause kam.
Und so blieb ich – nach einem Bad ohne Rauschebärte und einem Zubettbringen ohne Familienknuddeln – mit meinen Fotos und dem zerrissenen Brief zurück, den ich wieder aus dem Müll gefischt und zusammengeklebt hatte. Ich versuchte, logisch zu denken. Was bedeutete er, dieser Brief? Welchen Einfluss konnte er tatsächlich haben?
Würde ich meine Stelle verlieren? Und wäre das nach der Talfahrt, die mein Leben mit meiner neuen Arbeit genommen hatte, wirklich so schlimm? Ich hatte für einige Gefangene mehr Verständnis gehabt als für meinen Freund. Was wäre schon so schlimm daran, wenn ich bei Sainsbury’s an der Kasse arbeiten würde. Mal abgesehen davon, dass wir dann die Tilgungsratenfür den Wohnungskredit nicht mehr bezahlen könnten. Und wieder bei meinen Eltern einziehen müssten.
Im Grunde war es wahrscheinlich ganz gut, dass Chas nicht ans Telefon ging. Schließlich war seine Bewährungszeit gerade erst vorüber. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war, in irgendetwas Kriminelles verwickelt zu werden. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie er auf die Sache mit Billy reagieren würde. Er gehörte zu der Sorte Menschen, die ihre Probleme selbst in die Hand nehmen. Machte gern reinen Tisch. Vertraute nicht der Polizei oder den Gerichten. Wenn ich ihm von Billys Brief erzählte, würde er irgendeine Dummheit begehen, und dann würden sie ihn wieder wegschließen.
Dann war da dieser Kuss. Chas hatte meinen albernen Versuch, ihn bei der Party mit Danny eifersüchtig zu machen, nicht einmal bemerkt. Wenn das zu meinen anderen Schnapseskapaden noch hinzukäme, würde er wohl nie mehr zu mir zurückkehren.
Aber der
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