Letzte Bootsfahrt
Menschen, die im ganzen Gesicht Dutzende, wenn nicht Hunderte solcher Eisenteile getragen hatte. Hoffentlich überlegte sich das Mädchen das noch einmal. Und bei der Katharina würde endgültig ein Riegel vorgeschoben werden gegen derartige Vorstellungen. Das ging einfach zu weit.
Über seinen Gedanken hatte er überhört, was das Mädchen geantwortet hatte. „Auf Wiedersehen, dann!“, sagte die Frau Doktor gerade und steuerte bereits auf den Ausgang zu, während er immer noch versonnen die Unterlippe der Kassierin betrachtete. „Gasperlmaier!“, rief ihn die Frau Doktor zur Ordnung. Er drehte sich um, da war sie schon beinahe am Ausgang, und Gasperlmaier fürchtete um seine wohlverdiente Jause. „Warten Sie einen Moment!“, rief er ihr nach. „Wir brauchen ja noch eine Jause!“ „Ja, wenn es denn sein muss“, ließ sich die Frau Doktor erweichen und folgte Gasperlmaier in den Markt.
Tatsächlich lag unter dem Licht der Wärmelampe eine, wie es Gasperlmaier schien, noch saftige Stelze, und er fragte die Verkäuferin, ob sie ihm ein paar Schnitten davon in eine Semmel legen konnte. „Mit Senf.“ Die Frau Doktor hingegen beäugte die Vitrine mit zusammengekniffenen Augen. „Alles viel zu fett!“, lästerte sie. Schließlich entschied sie sich für einen Becher Nudelsalat und ein Vollkornweckerl. Die Christine hielt Nudelsalat ja für eine völlig abwegige kulinarische Verirrung. „Kalte Nudeln sind wirklich das Letzte!“, pflegte die Christine zu meckern, wenn so etwas irgendwo bei einem Buffet angeboten wurde. Gasperlmaier hatte aber keine Lust, die Frau Doktor mit dieser Ansicht zu konfrontieren.
„Ich hab leider überhört, warum der Herr Schnabel heute nicht im Geschäft ist“, sagte Gasperlmaier, nachdem er den ersten Bissen der Stelzensemmel gut durchgekaut und hinuntergeschluckt hatte. „Weil Sie die ganze Zeit auf das Tattoo gestarrt haben!“, warf ihm die Frau Doktor vor. „Er hat gesagt, dass er auf einer Filialleitertagung ist, den Angestellten aber nicht verraten, wo die stattfindet. Sicher nicht in Gmunden, denn ich nehme doch an, dass die steirischen Filialleiter sich in der Steiermark und nicht in Oberösterreich treffen. Er hat also gelogen.“ Die Frau Doktor kratzte den letzten Rest Nudelsalat mit dem Plastiklöffel aus dem Becher. „Schmeckt scheußlich“, meinte sie dazu. Er, so dachte Gasperlmaier bei sich, hätte ihr ohnehin von Nudelsalat abgeraten, wäre er gefragt worden, und so geschah es ihr nur recht.
„Wir fahren jetzt zu den Voglreiters“, kündigte die Frau Doktor an. „Vielleicht kommen wir da weiter. Der Sohn oder die Tochter könnten ja irgendwas über diese Affäre vor fünfzig Jahren wissen.“ Gerade, als die Frau Doktor das Auto startete, läutete ihr Handy. Sie stellte den Motor wieder ab und suchte nach dem Gerät in ihrer Handtasche. Die allerdings erwies sich diesmal als widerspenstig. So sehr sie auch kramte und das Handy weiter dudelte, so wenig konnte sie es in den Tiefen ihrer Tasche ausmachen. „Verdammt!“, schrie sie laut, als es in dem Moment verstummte, in dem sie es endlich in der Hand hatte. „Die Nummer kenne ich nicht“, stellte sie fest und drückte die Rückruftaste.
Gleich darauf hörte Gasperlmaier den Manzenreiter Sepp aufgeregt ins Telefon schreien. „Frau Kommissar?“, schrie der Sepp, „ich hab es mir überlegt. Ich muss Ihnen doch was sagen. Ich hab einen Drohbrief bekommen, da will mich einer erpressen. Und ich soll mich mit ihm auf der Pötschenhöhe treffen, da gibt es abseits der Straße so eine alte Schottergrube.“ Die Frau Doktor zwinkerte Gasperlmaier zu und reckte den Daumen ihrer freien Hand in die Höhe. „Ich hab Angst, Frau Kommissar, was soll ich denn tun?“ „Wo sind Sie denn gerade?“, fragte sie. Der Sepp klang nun echt verzweifelt, fand Gasperlmaier. „Ich bin schon auf dem Weg Richtung Pötschen. Schon fast in Goisern. Was soll ich denn tun?“ „Fahren Sie zu dem vereinbarten Treffpunkt.“ Die Frau Doktor schlug einen beruhigenden Ton an. „Wir kommen auch hin. Steigen Sie nicht aus und verriegeln Sie die Autotür. Stellen Sie sich so hin, dass Sie freien Blick zur Straße haben.“
Die Frau Doktor schnallte sich an und gab Gas. „Gasperlmaier, jetzt wird’s ernst. Dienstwaffe?“ Gasperlmaier fühlte nach seinem Holster. Dass er die Waffe heute früh ordnungsgemäß überprüft hatte, da war er sich eigentlich sicher. Hoffentlich musste er nicht schießen. Das hatte er nämlich
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