Letzte Bootsfahrt
laut. Von Neugier geplagt, erhob sich Gasperlmaier mühsam, begab sich in die Küche und beugte sich von hinten über die Christine, um zu sehen, was da in der Pfanne brutzelte. Natürlich konnte er es nicht lassen, sie dabei kräftig um die Taille zu packen. „Verschwind!“, rief die Christine. „Es gibt eine Venezianische Leber!“ Gasperlmaier trat einen Schritt zurück und kratzte sich am Kopf. Leider vergaß er dabei auf seine Beule und zuckte vor Schmerz zusammen, als er mit den Fingern darauf traf. „Ist eh praktisch gleich, wie ich die Leber sonst mach, nur halt mit Weißwein und Salbei anstatt einer Rahmsoße. Und dazu gibt’s Polenta!“ Ein wenig ungewöhnlich fand Gasperlmaier das schon. Ihm hatte die geröstete Leber, wie seine Mutter sie machte, stets geschmeckt. Erstens aber wusste er aus Erfahrung, dass die Christine bei ihren Experimenten fast immer etwas zustande brachte, was ihm vorzüglich schmeckte, und zum zweiten wusste er, ebenso aus Erfahrung, dass es keine gute Idee war, die Kochkunst der Mutter ins Spiel zu bringen, wenn die Christine am Herd einen kreativen Schub hatte.
Beim Gedanken an seine Mutter allerdings fiel ihm etwas anderes ein. Die Frau Doktor war sich doch sicher gewesen, dass sie ihnen irgendwas verschwieg. Irgendwas, das im Zusammenhang mit der Voglreiter Friedl stand, die jetzt im gerichtsmedizinischen Institut in Graz lag und darauf wartete, in ihr Grab zurückkehren zu dürfen. Gasperlmaier bekam eine Gänsehaut, wenn er nur daran dachte, was mit der alten Voglreiterin womöglich jetzt gerade geschah. Er musste zur Mutter hinüber, heute Nachmittag, vielleicht konnte er aus ihr etwas herauskriegen, das sie nur ihm sagen würde. Die Frau Doktor, so hatte sich herausgestellt, war ihr ja nicht sonderlich sympathisch gewesen.
„Essen!“, rief die Christine. Gasperlmaier schlurfte zum Kühlschrank und holte sich ein Bier heraus. Die Christine setzte die beiden Teller auf dem Tisch ab und runzelte die Stirn. „Ob das gut ist, in deinem Zustand?“ Gasperlmaier schenkte sich ein. „Ein reines Naturprodukt!“, hielt er dagegen. „Warum sollte das schaden?“ Er nahm einen tiefen Schluck. „Mahlzeit!“, sagte die Christine. Gasperlmaier kostete, befand das Gericht für ausgezeichnet und fragte sich, warum keines der beiden Kinder am Esstisch saß. Direkt vor dem Essen hatte sich die Katharina verabschiedet. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
„Ich geh“, sagte er zwischen zwei Bissen, „dann noch zur Mama hinüber, nach dem Essen.“ Warum er die Mutter besuchen wollte, das wollte er vorerst für sich behalten. Die Christine musste nicht alles wissen. Und womöglich hätte er gleich wieder eine ganze Ladung komplizierter Fragen beantworten müssen, wenn er ihr erklärt hätte, dass die Mutter irgendetwas vor der Polizei zu verbergen schien. „Ist schon gut“, sagte die Christine zu seinem Glück nur. „Bist eh viel zu selten bei ihr. Musst dich ein bisschen mehr um sie kümmern.“ Den Vorwurf hörte Gasperlmaier zwar gar nicht gern, dennoch hielt er den Mund und war zufrieden, dass nicht nach Einzelheiten des geplanten Besuchs gefragt wurde.
Als Gasperlmaier das Haus verließ, tobte sich das Tiefdruckgebiet, das das Ausseerland seit Tagen fest im Griff hatte, wieder einmal kräftig aus. Fast kam es ihm sinnlos vor, den Schirm einmal in diese, einmal in jene Richtung dem böigen Wind entgegen zu stemmen. Letztendlich blieb doch nur sein Kopf trocken, der Rest war dem herunterstürzenden Regen nahezu schutzlos ausgeliefert.
Die Mutter hatte natürlich, wie fast immer, die Haustür nicht zugesperrt. Gasperlmaier erklärte ihr zwar immer und immer wieder, dass Einbrecher auch vor dem Ausseerland nicht haltmachten, aber sie weigerte sich konsequent, diese alte Tradition aufzugeben.
Warm war es im Haus. Anscheinend hatte die Mutter den Kachelofen eingeheizt. Gasperlmaier hatte das Gefühl, als würde er zu dampfen beginnen. Er steckte seinen triefenden Schirm in den schmiedeeisernen Ständer und rief nach der Mutter. „Komm halt herein, ich hab mich gerade niedergelegt!“, hörte er ihre Stimme schließlich. In der Stube war die Mutter gerade dabei, wieder in ihre Hausschuhe zu schlüpfen und sich die etwas zerrauften Haare zu richten. Gasperlmaier hatte völlig darauf vergessen, dass die Mutter ja nach dem Mittagessen immer ein wenig rastete, wenn sie die Küche aufgeräumt hatte. Und zwar blitzblank bis auf den letzten Brösel und Fettfleck. Dass bei
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