Letzte Bootsfahrt
ihr Geschirr herumstand, kam einfach nicht vor.
„Hättest ja nicht aufstehen müssen, Mama!“, beeilte sich Gasperlmaier, aber schon stand die Mutter. „Im Liegen wird bei mir keiner begrüßt, auch du nicht. Erst, wenn ihr mich in der Kiste da hinaus tragt!“ Gasperlmaier hörte die immer häufigeren Anspielungen der Mutter auf ihren, wie sie anscheinend glaubte, nahenden Tod nicht gern. „Wennst einmal kommst, dann kommst gerade, wo ich mich niedergelegt hab!“ „Leg dich halt wieder hin, Mama!“, versuchte Gasperlmaier zu beschwichtigen. Verdammt stur konnte sie schon sein, die Mutter. Am besten, man sagte gar nichts dagegen, sondern fügte sich einfach.
„Wo kommst denn eigentlich her, mitten am Tag?“, fragte die Mutter. „Ja, wir haben heute Vormittag einen Einsatz gehabt, und da bin ich, da hab ich …“ Gasperlmaier überlegte, wie er den Grund für seinen kurzfristigen Krankenstand so umschreiben konnte, dass ihm die Mutter kein Theater machte. „Da ist mir beim Verfolgen von einem Verdächtigen ein kleines Missgeschick passiert“, fuhr er fort, „und da bin ich ein bisschen hingefallen. Ist aber nicht der Rede wert.“ Gasperlmaier begleitete seine Erklärung mit einer wegwerfenden Gebärde, um die Bedeutung des Vorfalls herunterzuspielen. Die Mutter musterte ihn jedoch skeptisch. „Und deshalb haben sie dich gleich heimgeschickt? Weil du ein bisschen hingefallen bist?“ „Na ja“, räumte Gasperlmaier ein, „anscheinend bin ich auch ein bisschen auf den Kopf gefallen.“ Die Mutter stand auf, stöhnte leise und griff sich mit der Hand ans Kreuz. „Das bist du ja als Kind auch oft. Ob’s dir geschadet hat, trau ich mich nicht zu sagen.“ „Und dann war ich ein bissl bewusstlos“, fügte Gasperlmaier hinzu, denn etwas Mitleid erwartete er sich jetzt schon von der Mutter. „Was?“, fragte die laut und drehte sich zu ihm um. „Bewusstlos warst? Haben s’ dich nicht ins Krankenhaus gebracht? Da muss man recht aufpassen, weißt! Das ist kein Spaß!“ „Es ist eh schon wieder besser!“, log Gasperlmaier, dessen Schädel immer noch ordentlich brummte.
„Magst wenigstens einen Kaffee und einen Apfelstrudel?“, fragte die Mutter und hastete in die Küche, ohne eine Antwort abzuwarten. „Mir war das eh nicht recht, dass dir der Vater damals nicht von so einem gefährlichen Beruf abgeraten hat!“, hörte Gasperlmaier sie weiterreden, während sie anscheinend gleichzeitig mit Wasserkrug und Kaffeemaschine hantierte. Das bekam Gasperlmaier auch seit dreißig Jahren zu hören, dass sie dem Vater Vorwürfe machte, weil er Gasperlmaier dazu geraten hatte, auch Polizist zu werden. Die Mutter hatte ihn ja förmlich unter einen Glassturz stellen wollen. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn er einen Beruf ergriffen hätte, wo man sich höchstens im Büro die Ellenbogen wundschürfen konnte. Sogar eine Tischlerei war ihr als lebensgefährlicher Aufenthaltsort für einen jungen Menschen erschienen, deswegen hatte sie auch Gasperlmaier erfolgreich die Tischlerlehre ausgeredet, auf die er damals eigentlich Lust gehabt hätte.
Gasperlmaier hatte keinen Hunger, er war von der Leber der Christine noch ganz und gar satt, doch bevor er lange überlegen konnte, hatte die Mutter schon ein großes Stück Apfelstrudel und ein Riesenhäferl Kaffee vor ihn hingestellt. „Wie geht’s dir denn so, Mama?“, fragte er, um sich nicht gleich dem Verdacht auszusetzen, er sei mit einem bestimmten Vorsatz gekommen. Da war er bei seiner Mutter aber an die Falsche geraten. Während er sich noch einen Löffel Schlagobers auf den Apfelstrudel klatschte, hatte sie schon die Stirn gerunzelt. „Das fragst doch sonst nie? Was willst denn eigentlich, wegen was bist denn gekommen?“ „Nichts, nichts!“, versuchte Gasperlmaier zu beschwichtigen. „Nur so. Weil du halt viel allein bist.“ Die Stirnfalten der Mutter wurden tiefer und zahlreicher. „Red doch nicht so einen Blödsinn. Du willst doch was von mir! Das wär ja das erste Mal, dass du einfach so hereinkommst und wissen willst, wie es mir geht!“ Gasperlmaier versuchte zu retten, was zu retten war. „Ich hab mir halt gedacht, dass es gut wäre, wenn ich öfter zu dir schau! Weil’s ja gerade so schwer ist für dich!“
Die Mutter stand wieder auf. Gasperlmaier fiel auf, dass sie für sich selbst weder Kaffee noch Apfelstrudel hergerichtet hatte. Sie ging zur Vitrine und holte den Obstler und zwei Stamperl heraus. „Pass auf!“, sagte sie. „Jetzt
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