Letzte Bootsfahrt
dachte Gasperlmaier später, konnte man sich über die Hühnerbrüste mit Gemüse von der Christine wirklich nicht. Erstens hatte sie sie mit Kräutern, Knoblauch und Käse gefüllt und mit Speck umwickelt, und zweitens gab es außer dem Gemüse auch noch gebratene Erdäpfel dazu. „Pfüat euch!“ Wie so oft sprang die Katharina mitten unter dem Essen, nachdem sie ihre Miniportion etwas lustlos verdrückt hatte, schon wieder auf und verschwand in ihrem Zimmer. Gasperlmaier schüttelte, eifrig kauend, den Kopf. „Ist das ein Benehmen?“, fragte er undeutlich wegen des halbvollen Mundes. „Erstens isst sie viel zu wenig, sie ist eh schon so dünn wie ein Strich in der Landschaft. Und dann rennt sie noch mitten unter dem Essen weg!“ Die Christine seufzte. „Natürlich ist das kein Benehmen. Genauso, wie mit dem vollen Mund zu sprechen, übrigens.“ Gasperlmaier fühlte sich ungerecht behandelt. Schließlich hatte er als Erziehungsberechtigter aus Sorge um seine Tochter gesprochen, während bei ihm selbst die Erziehung abgeschlossen und diesbezügliche Bemühungen somit überflüssig waren. „Aber du hast natürlich recht“, setzte die Christine fort. „Ich mach mir auch Sorgen wegen ihrer Essgewohnheiten. Aber wenn ich was weiß, dann das: Wenn ihr die Eltern am Esstisch ständig dreinreden, wird es nicht besser, sondern sogar schlimmer.“
„Wo geht sie denn überhaupt hin?“, fragte Gasperlmaier, diesmal erst, nachdem er sein Salatblatt gründlich durchgekaut und vollständig hinuntergeschluckt hatte. Die Christine antwortete nicht gleich und zog eine steile Falte auf ihrer Stirn. „Das wird dir nicht gefallen, wenn ich’s dir sage.“ Gasperlmaier hielt überrascht inne, ein Stück Huhn auf seiner Gabel balancierend. „Hat sie vielleicht einen Freund? Hast du mit ihr schon …“ Wenn es um Gespräche über Sex ging, vor allem, wenn seine Kinder betroffen waren, brach Gasperlmaier seine Sätze noch früher ab, als er das sonst gewohnt war. Das Einzige, was er selbst für die Aufklärung seiner Kinder getan hatte, war, dem Christoph eine Packung Kondome aufs Bett zu legen, als der für die Maturareise gepackt hatte. Gasperlmaier mochte gar nicht mehr daran denken, wie er sie gekauft hatte: Hinter ihm in der Schlange im Drogeriemarkt war ausgerechnet die Rosemarie gestanden, eine Kollegin seiner Frau, samt ihrer Tochter. Und natürlich hatten sie beide gesehen, was Gasperlmaier gekauft hatte. Und er hatte sich eingebildet, dass ihm die Rosemarie bei späteren Begegnungen süffisante Blicke zugeworfen hatte.
„Gasperlmaier!“ Die Christine schüttelte den Kopf. „Glaubst du wirklich, dass man einer Siebzehnjährigen heute noch erklären muss, was sie tun muss, um nicht schwanger zu werden? Das hab ich schon erledigt, als sie dreizehn war. Und direkt ungesund ist Sex ja schließlich nicht.“ Gasperlmaier vergaß auf das langsam erkaltende Stück Huhn auf seiner Gabel. Eigentlich, so erinnerte er sich, hatte er ja mit der Christine über das seltsame Verhalten seiner Mutter sprechen wollen, und jetzt waren sie mitten in einer Debatte über das Erwachsenwerden ihrer Tochter angekommen.
Die Christine legte ihr Besteck weg und nahm einen Schluck Weißwein. „Was dir nicht gefallen wird, ist, dass sie mit der Frau Zettel und ihrer Freundin fortgeht.“ Gasperlmaier hatte mittlerweile das Stück Huhn zum Mund geführt und zu kauen begonnen, vergaß jedoch wieder darauf, als er den Namen Zettel hörte. Die Frau Magister Zettel war vor kurzem in einen Erpressungsfall verwickelt gewesen, weil jemand davon erfahren hatte, dass sie lesbisch war. Das war vor allem deswegen ein Problem, weil sie Unterrichtspraktikantin an Katharinas Schule gewesen war, der Tourismusschule in Bad Aussee. Die Frau Zettel war zwar immer noch Lehrerin, nunmehr aber am Gymnasium in Aussee, wo jeder wusste, dass sie mit einer Frau zusammenlebte, ohne dass ihr irgendjemand deswegen Schwierigkeiten machte. Dass aber die Katharina weiterhin eine Freundschaft mit ihr unterhielt, wo die Frau Zettel doch viel älter war, das war Gasperlmaier neu. Er malte sich schon in Gedanken aus, wie die Katharina auf dem Standesamt eine zweite weißgekleidete Braut küsste, und fragte sich, was seine Kameraden bei der Freiwilligen Feuerwehr dazu sagen würden. Wohl war ihm bei diesen Aussichten nicht.
„Gasperlmaier, mir gefällt es auch nicht besonders. Vor allem wegen des Altersunterschieds. Aber merk’s dir: Homosexualität ist nicht
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