Letzte Bootsfahrt
vorsichtig. Aber, wie es schien, nicht vorsichtig genug. Die Maggie hatte ihn wieder einmal in ordentliche Schwierigkeiten gebracht. Die Frau Doktor warf Gasperlmaier einen tiefgefrorenen Blick samt hochgezogenen Augenbrauen zu. „Ich hab sie doch nur ganz sacht an der Schulter berührt!“, versuchte er sich zu verteidigen. Die Frau Doktor aber seufzte nur und begab sich wieder zu ihrer Leiche ins Bootshaus.
Gasperlmaiers Laune war im allertiefsten Keller. Nicht nur, dass die Schilling-Zeitung schon wieder Schwierigkeiten machte, hatte er nun auch noch das Problem mit der Mutter am Hals. Wie sollte er ihr beibringen, dass der Doktor Schwaiger ermordet worden war? Die Maggie, stellte er mit einem vorsichtigen Blick über die Schulter fest, hatte sich bis zu ihrem Auto zurückgezogen, wo sie mit der Kamera im Anschlag auf der Kühlerhaube saß. Als er sich wieder vorsichtig dem Bootshaus näherte, war man bereits dabei, den Doktor Schwaiger herauszutragen. Auf dem Steg legten die beiden Spurensicherer die Plane ab, in die sie den Toten eingeschlagen hatten.
Von der Straße her näherte sich neuerlich eine Frau mittleren Alters mit einem Koffer in der Hand. Gasperlmaier eilte auf sie zu. „Sie dürfen hier nicht …“ „Doch!“, unterbrach sie ihn. „Ich bin die Gerichtsmedizinerin. Doktor Wurm. Angenehm.“ „Entschuldigung, ich habe Sie noch nie …“ „ … gesehen“, vollendete die Frau Doktor Wurm Gasperlmaiers Satz. „Kein Wunder, ich bin erst seit ein paar Monaten hier im Dienst. Zeigen Sie mir die Leiche?“ Eine durchaus angenehme Erscheinung, dachte Gasperlmaier bei sich, war die Frau Doktor Wurm. Freundlich und kompetent erschien sie ihm, ganz im Gegensatz zu dem unmöglichen Doktor Kapaun, der ihnen schon ein paarmal zu Tatorten geschickt worden war. Nicht mehr jung, aber attraktiv, fand Gasperlmaier, als er ihr nachsah, wie sie auf den Steg hinunterstieg. Er folgte ihr und fragte sich gleichzeitig, wie es kam, dass alle Gerichtsmediziner, die er bisher kennengelernt hatte, die Namen von Tieren trugen.
Der Doktor Schwaiger lag auf dem Rücken. Gasperlmaier war es nur recht, dass sein Körper durch die vielen dort herumstehenden Menschen seinen Blicken fast gänzlich verborgen war. Nur die Schuhe des Doktors konnte er sehen. Schwarze Halbschuhe mit glatten Ledersohlen. Für den Ausflug auf die Blaa-Alm, so dachte Gasperlmaier bei sich, hatte sich der Doktor Schwaiger offensichtlich noch nicht umgezogen. Die Frau Doktor Wurm zog eine kleine Schaumstoffmatte aus ihrer Tasche und schob sie unter ihre Knie, bevor sie sich neben dem Leichnam niederließ. „Meine Knie!“, meinte sie entschuldigend, „ich bin ja nicht mehr die Jüngste.“ Niemand antwortete ihr.
Gasperlmaier konnte nicht genau sehen, was sie mit dem Doktor Schwaiger machte, jedenfalls hatten sie ihm die Hose noch nicht wieder hochgezogen, so viel stand fest. „Die Todesursache scheint mir die Kopfwunde zu sein. Massive Einwirkung mit einem stumpfen Gegenstand, ich tippe auf die Rückseite einer Axt oder einen schweren Hammer. Von einem Sturz stammt die Wunde sicherlich nicht, auf diese Stelle stürzt man nicht.“ Die Frau Doktor Wurm richtete sich stöhnend auf und legte sich beide Hände ins Kreuz. „Bandscheiben, wissen Sie!“ Die Frau Doktor Wurm schien älter zu sein, als Gasperlmaier zunächst vermutet hatte, wenn man ihre offenbar zahlreichen Leiden bedachte. Ihre Handschuhe hatten Blutflecken auf dem Rücken des weißen Mantels hinterlassen, den sie vor der Untersuchung des Toten übergestreift hatte.
„Schauen wir uns das Boot an, in dem wir ihn gefunden haben?“, fragte die Frau Doktor. Die Medizinerin nickte und folgte ihr ins Bootshaus. Gasperlmaier blieb, der frischen Luft wegen, lieber auf dem Steg stehen und wandte die Blicke vom toten Michl Schwaiger ab. Es dauerte eine Zeitlang, bis die beiden wieder herauskamen. „Also, da drinnen ist er nicht gestorben“, sagte die Frau Doktor Wurm und schüttelte skeptisch den Kopf. „Der hat viel mehr Blut verloren als im Boot ist. Ihr müsst auch auf dem Weg zum Boot nach Blutspuren suchen.“ Sie deutete auf die Planken, auf denen jetzt schon zahlreiche Polizisten herumgetrampelt waren.
Die Frau Doktor seufzte. „Wie lange, schätzen Sie, ist er denn schon tot?“, fragte sie. Die Ärztin entledigte sich ihrer Handschuhe, wischte sich die Finger an einem Papiertaschentuch ab und zog ein iPad aus ihrer Tasche, auf dem sie eine Weile herumtippte. „Wenn man die
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