Letzte Bootsfahrt
vermutliche Außentemperatur heranzieht“, sagte sie, „und die jetzt gemessene Körpertemperatur, und die Lage des Körpers in Betracht zieht, dann würde ich sagen, so circa zwei bis drei Uhr früh. Sie wissen ja“, fuhr sie zur Frau Doktor gewandt fort, „dass das eine vorläufige Schätzung ist. Genaueres natürlich erst nach der Obduktion.“ Die Frau Doktor Kohlross schüttelte den Kopf. „Da wollte ihm der Täter wohl eine letzte Bootspartie auf dem Altausseer See verschaffen. Vielleicht hat er ja vorgehabt, mit ihm hinauszufahren und ihn ins Wasser zu werfen, und ist dabei gestört worden. Aber die Art und Weise, wie der Täter die Leiche arrangiert hat, so etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte sie. „Können Sie einmal nachschauen, ob es irgendwelche Anzeichen sexueller Misshandlungen an den Geschlechtsteilen gibt?“
Gasperlmaier drehte sich wieder zur Seite. Er musste nicht unbedingt zuschauen, wenn die Frau Doktor Wurm die intimeren Teile des Doktor Schwaiger untersuchte, das war ihm peinlich. Dennoch gelang es ihm nicht ganz, den Gedanken daran zu verdrängen, dass die Mutter womöglich bereits Kenntnis dieser intimeren Details hatte. Es war ihm unmöglich, sich die Mutter bei irgendeiner Form sexuellen Vergnügens vorzustellen. Krampfhaft versuchte er, derartige Bilder aus seinem Schädel zu vertreiben. Doch wie meist, wenn man sich krampfhaft bemüht, etwas zu vermeiden, passiert es erst recht. „Nichts zu sehen!“, hörte er endlich die Frau Doktor Wurm. „Man hat ihm anscheinend lediglich post mortem die Hose hinuntergezogen. Sonst würden sich die Blutspuren auf der Haut, nicht auf der Hose befinden.“ Gasperlmaier starrte auf den See hinaus und versuchte, ganz ruhig und tief zu atmen. „Packt ihn mir bitte so ein, wie er ist. Kleidung in diesem Zustand belassen!“, ordnete die Frau Doktor Wurm an.
Plötzlich stand die Frau Doktor Kohlross neben ihm. „Sie haben den Toten gekannt, sagt mir Ihr Postenkommandant?“, fragte sie. Gasperlmaier nickte. „Doktor Michael Schwaiger, ein Anwalt aus Wien. Und ein Schulfreund meiner Mutter, er ist ursprünglich von hier.“ Gasperlmaier schluckte. „Die Tage ist er zum Begräbnis der Voglreiterin gekommen, das war eine Freundin von der Mutter, und da haben sie sich wieder getroffen. Die Mutter war gestern mit ihm zusammen. Und vorgestern Abend auch.“ Gasperlmaier wandte sich der Frau Doktor zu und spürte, wie es in seinen Augenwinkeln feucht wurde. „Und die Mutter hat sich so gut mit ihm unterhalten. Ich weiß gar nicht, wie ich ihr das beibringen soll!“ Gasperlmaier hatte seine Stimme nicht mehr recht unter Kontrolle, würgte und schluckte heftig. Er trat ein paar Schritte nach vorne. Das hätte gerade noch gefehlt, dass er der Frau Doktor hier was vorheulte.
Anscheinend jedoch war sie ihm gefolgt. „Ich fahr mit Ihnen hin zu Ihrer Mutter. Ich kann Sie doch nicht mit dem Problem allein lassen.“ Gasperlmaier war der Frau Doktor unendlich dankbar für das Angebot, schämte sich aber dennoch seiner plötzlichen und unerwarteten Gefühlsregung. „Ich hab es ja gar nicht gern gesehen“, gestand er der Frau Doktor, „dass sie praktisch dauernd mit dem Doktor Schwaiger zusammen war, seit dem Begräbnis. Ich hab sie sogar im Verdacht gehabt, dass sie, dass sie …“ Er begann zu stottern, weil er nicht recht wusste, wie er den Verdacht ausdrücken sollte, den er in Bezug auf das Verhältnis der Mutter zum Doktor Schwaiger gehabt hatte. Plötzlich war das Würgen wieder weg, und der Ärger über die Mutter gewann die Oberhand. Hätte sie sich nicht mit dem Doktor Schwaiger eingelassen, müsste sie jetzt nicht jammern.
„Gasperlmaier, ich muss Sie das jetzt fragen“, sagte die Frau Doktor, „können Sie sich vorstellen, dass der Tod des Doktor Schwaiger irgendwie mit der Beziehung zu Ihrer Mutter zusammenhängt?“ Gasperlmaier starrte sie mit offenem Mund und großen Augen an. Was hatte die Frau Doktor da soeben gesagt? Hatte sie den Verdacht geäußert, dass die Mutter den Doktor Schwaiger mit einem Hammer …? „Die Mutter?“, stammelte er nur. „Ja, was soll die denn damit zu tun haben?“ Die Frau Doktor legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Gasperlmaier durchzuckte ein Stromschlag, obwohl sich ja mehrere Schichten Stoff zwischen seiner Schulter und der Hand der Frau Doktor befanden. „Natürlich glaube ich nicht, dass Ihre Frau Mutter direkt was mit dem Mord zu tun hat. Aber vielleicht war diese Beziehung
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