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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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während ich mir den letzten Krimskrams in die Taschen meiner Jeans schob.
    Im Raum herrschte Totenstille. Helen, Ray und Laura regten sich nicht. Die Schüssel mit den pürierten Süßkartoffeln lag inmitten einer orangefarbenen Pfütze aus Püree und zerbrochenem Porzellan auf der Erde. Doch das spielte in diesem Moment keine Rolle, weil Gilbert in der Eßzimmertür stand und eine Pistole in der Hand hielt, mit der er genau auf mich zielte.

17

    Gilbert trug den Stetson nicht mehr. Sein Haar war zerzaust und wies immer noch dort die leichte Einkerbung auf, wo der Hut gesessen hatte. Seine blaßblaue Jeansjacke war mit Schaffell gefüttert, das an manchen Stellen dunkelrot durchtränkt und steif war. »Maria läßt schön grüßen. Sie wäre ja mitgekommen, nur hat sie sich nicht so wohl gefühlt.«
    Bei der Anspielung auf ihre Mutter begann Laura zu weinen. Sie gab keinerlei Geräusch von sich, aber ihr Gesicht wurde fleckig und rot, und in ihren Augen wallten die Tränen auf. Dann stieß sie hinten aus der Kehle ein kaum unterdrücktes quiekendes Geräusch aus und sank auf einen Stuhl.
    »He. Steh auf und halt deine Hände so, daß ich sie sehen kann.«
    Die Pistole in seiner Hand ermunterte zum Gehorsam. Ich würde gewiß nicht mit ihm streiten. Laura erhob sich langsam und ohne ihn anzusehen. Sie atmete deutlich hörbar aus, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie hatte uns das mit all ihren unüberlegten Entscheidungen eingebrockt. Sie war das Risiko eingegangen, und wir alle würden nun dafür bezahlen. Ich sah jeden einzelnen im Raum überdeutlich: Ray hatte seine Jacke an und die Autoschlüssel in der Hand. Er hatte es geschafft, seine Mutter in einen Mantel zu zwängen. Sie stand dicht neben ihrem Stuhl am Tisch, mit erhobenen Händen und in ihre Wollsachen verpackt wie ein Kind an einem verschneiten Tag. Fünf Minuten mehr, und wir wären wohl weg gewesen. Gilbert mußte uns natürlich einige Zeit belauscht haben, und so spielte es vermutlich keine Rolle. Die Tatsache, daß wir mittlerweile alle die Hände in die Luft hielten, gab der Szene einen leicht komischen Touch. Es sah aus, als hätte man uns mitten in einem Spiritual erwischt, während wir alle mit den Händen gen Himmel winkten. In einem Western wäre jemand auf Gilbert losgegangen und hätte nach der Pistole gegriffen. Hier nicht. Ich hielt den Blick auf sein Gesicht gerichtet und versuchte, seine Absichten zu ergründen. Helens Blick wanderte im Raum umher, ließ sich nirgends nieder, sondern schweifte durch den grauen Nebel mit seinen regungslosen, dunklen Figuren. Ich dachte, sie wäre verwirrt oder aufgeregt, doch sie sagte nichts, da sie womöglich spürte, daß der Situation mit Fragen nicht gedient wäre. Sie bebte nahezu unmerklich, so wie ein Hund zittert, wenn er vor dem Kupieren auf dem Tisch steht.
    Die Luft roch nach gebratenen Schweinekoteletts und Milchsoße. Die Überreste des Mahls lagen auf den Tellern, und in der Spüle stapelten sich die Kochtöpfe. Vielleicht würde Freida Green in ein paar Tagen vorbeikommen und aufräumen... nachdem die Tatortabsperrung entfernt und die Versiegelung des Hauses wieder aufgehoben war.
    Gilbert hielt die Pistole in der rechten Hand und griff mit der linken in seine Jackentasche, aus der er eine Rolle Isolierband herausholte. »Paßt mal auf, was wir machen«, sagte er im Plauderton. »Ray, setz dich doch einfach auf diesen Stuhl. Laura wird dich mit Isolierband festbinden. He, he, he, Babe. Verdammt noch mal. Hör auf zu heulen. Bis jetzt ist noch nichts passiert. Ich versuche nur, alles unter Kontrolle zu halten. Ich will nicht, daß sich irgendwer auf mich stürzt. Will ja nicht, daß diese Pistole losgeht, sonst wird womöglich noch irgendwer verletzt. Grammy sieht bestimmt nicht mehr so toll aus mit einem Loch im Kopf, aus dem das ganze Hirn herausquillt, oder Ray mit einem riesengroßen Loch in der Brust. Nun kommt schon. Helft mir, einfach um zu zeigen, daß ihr mich noch gern habt.«
    Er warf die Rolle silberfarbenen Isolierbandes Laura zu, die es im Flug auffing. Sie schien wie erstarrt und stand regungslos da, während die Sekunden verstrichen. »Gilbert, ich bitte dich —«
    » Bind ihn fest !«
    Ich fuhr unter seinem plötzlichen Brüllen zusammen. Laura zuckte nicht mit der Wimper, aber ich sah, daß sie sich nun in Bewegung setzte und durch den Raum auf Ray zuging. Langsam und mit nach wie vor erhobenen Händen ließ sich Ray auf den Stuhl gleiten, den ihm Gilbert

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