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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hoffe es. Sonst haben wir Pech gehabt«, meinte er.
    »Wie das?«
    »Weil es der einzige Hinweis ist, den wir haben. Es sei denn, du hast eine Idee, wo wir vierzig Jahre, nachdem es versteckt worden ist, nach einem Haufen Geld suchen können.«
    »Ich wüßte nicht einmal, wo ich anfangen sollte«, sagte sie.
    »Ich auch nicht. Ich hatte gehofft, Kinsey würde uns helfen, aber es macht ganz den Eindruck, als ginge uns die Zeit aus«, meinte er und wandte sich dann an seine Mutter. »Soll ich das Tischgebet sprechen, Ma?«
    Warum fühlte ich mich schuldig? Ich hatte nichts getan.
    Das Essen war ein üppiges Zeugnis althergebrachter Südstaaten-Kochkunst. Es war seit Tagen die erste Mahlzeit, die ich zu mir nahm, die nicht voller Zusatzstoffe und Konservierungsmittel steckte. Der Gehalt an Zucker, Natrium und Fett war zwar fragwürdig, aber ich bin nicht besonders zimperlich, was Essen betrifft. Ich aß mit Appetit und Konzentration und achtete nur nebenbei auf das Gespräch um mich herum, bis Ray die Stimme erhob. Er hatte seine Gabel abgelegt und starrte seine Tochter erschrocken und entsetzt an.
    »Du hast was getan?«
    »Was gibt es daran auszusetzen?«
    »Wann hast du mit ihr gesprochen?«
    Ich sah, wie Laura die Farbe ins Gesicht stieg. »Gleich als wir hier angekommen sind«, sagte sie rechtfertigend. »Du hast mich doch ins andere Zimmer gehen sehen. Was hast du denn gedacht, was ich mache? Ich habe telefoniert.«
    »Guter Gott. Du hast sie angerufen ?«
    »Sie ist meine Mutter. Natürlich habe ich sie angerufen. Ich wollte nicht, daß sie sich Sorgen macht, falls Gilbert plötzlich bei ihr auftaucht. Na und?«
    »Wenn Gilbert auftaucht, wird sie ihm sagen, wo du bist.«
    »Tut sie nicht.«
    »Natürlich tut sie’s. Glaubst du etwa, Gilbert wird sie nicht mit seinem Charme um den Finger wickeln? Herrgott, vergiß den Charme. Er wird sie zu Klump schlagen. Natürlich wird sie es ihm sagen. Ich hab’s ja auch getan. Als er erst einmal angefangen hat, mir die Finger zu brechen, konnte ich es gar nicht erwarten, zu singen. Hast du sie wenigstens gewarnt?«
    »Wovor gewarnt?«
    »Oh, mein Gott«, sagte Ray. Er rieb sich mit der Handfläche übers Gesicht und verzerrte dabei seine Züge.
    »Paß mal auf, Ray. Du brauchst mich nicht zu behandeln wie eine Vollidiotin.«
    »Du kapierst es immer noch nicht, was? Dieser Typ wird mich umbringen. Und dich. Er wird Kinsey umbringen, deine Großmutter und jeden anderen, der sich ihm in den Weg stellt. Er will das Geld. Du bist für ihn nur ein Mittel zum Zweck.«
    »Wie will er uns denn finden? Er wird uns nicht finden«, meinte sie.
    »Wir müssen von hier verschwinden.« Ray stand auf, warf seine Serviette hin und sah mich an. Ich wußte ebensogut wie er, daß Gilbert, wenn er erst einmal unseren Aufenthaltsort kannte, im Handumdrehen hier wäre.
    »Ich komme mit«, sagte ich.
    Laura war entsetzt. »Wir sind noch nicht einmal mit dem Essen fertig. Was habt ihr denn?«
    Er wandte sich zu mir. »Ziehen Sie Ihre Kleider an. Ma, du brauchst einen Mantel. Stell den Herd aus. Laß einfach alles stehen. Wir können uns später darum kümmern.«
    Seine Panik war ansteckend. Helens Blick wanderte im Zimmer umher, und ihre Stimme zitterte. »Was ist denn los, Sohn? Ich begreife nicht, was los ist. Warum sollen wir weggehen? Wir haben unser Eis noch nicht gegessen.«
    »Tu einfach, was ich sage und setz dich in Bewegung«, fauchte er und zerrte sie aus ihrem Stuhl hoch. Dann begann er, die Gasbrenner auszudrehen. Für eine Flucht war ich nicht angezogen. Ich trug nichts weiter als meine Reeboks und Helens Chenillebademantel. Ich ging zur Waschküche hinüber und hätte in meiner Eile, zum Trockner zu gelangen, beinahe Rays Stuhl umgeworfen. Laura protestierte heftig, aber mir fiel auf, daß sie sich genauso schnell bewegte wie wir anderen. Ich riß den Trockner auf, packte mir einen Armvoll heißer Klamotten und stürzte ins Schlafzimmer. Ich streifte meine Schuhe ab, zog Socken, BH und Höschen, Rollkragenpullover und Jeans an und schob die Füße wieder in die Reeboks, wobei ich die Fersen heruntertrat. Mein Gott, ich kämpfte schon wieder um die Goldmedaille bei der Kleiderüberwerfolympiade. Ich schlüpfte in meinen Blazer und begann, meine Habseligkeiten in die Taschen zu stopfen: Bargeld, Kreditkarten, Hausschlüssel, Pille, Dietriche. In der Küche hörte ich Laura einen Schrei ausstoßen, gefolgt vom Klirren einer zu Boden fallenden Schüssel. Ich ging in die Küche,

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