Letzte Ehre
das gesagt? Du lernst es nie, oder? Ich versuche — weiß Gott, ich versuche es wirklich — dir klarzumachen, was ich erwarte.«
»Farley ist tot?«
»Ja, das ist er«, sagte Gilbert feierlich. »Es tut mir leid, daß ich derjenige sein muß, der es dir sagt.«
»Er war dein Neffe. Dein eigenes Fleisch und Blut.«
»Was hat denn das damit zu tun? Das zieht ja nun wirklich nicht. Fleisch und Blut bedeuten einen Scheißdreck. Es geht um Loyalität. Ist dieser einfache Begriff für dich so schwer zu begreifen? Hör mal, ich sage dir etwas. Du kannst mir nicht die Schuld daran geben. Wenn irgend jemand verletzt wird, geht das auf dein Konto, nicht auf meines. Wie oft habe ich dir gesagt, daß du zu tun hast, was ich dir sage. Wenn du mir nicht gehorchen willst, kann ich auch nicht die Verantwortung tragen.«
»Ich tue ja, was du gesagt hast. In welcher Hinsicht tue ich nicht, was du gesagt hast?«
»Das meine ich nicht. Ich meine das Geld. Ich meine Rio. Kommst du jetzt mit? Genau. Du bist nicht nach Rio geflogen, wie du es hättest tun sollen, und jetzt schau nur, was wegen deines Benehmens alles schiefgegangen ist. Farley... na ja, sei’s drum. Ich denke, wir haben genug über ihn gesagt.«
Helen meldete sich zu Wort. Wie ich war sie verbissen mit den Händen in der Luft dagestanden. »Junger Mann. Ich wüßte gern, ob ich diesen Mantel ausziehen und mich hinsetzen kann.«
Gilbert runzelte von der Unterbrechung verärgert die Stirn. Es war offenkundig, daß es ihm Spaß machte, sich aufzuregen, sich im Recht zu fühlen und auf die vielen Punkte hinzuweisen, in denen andere die Schuld trugen. Helen sah ihn nicht an. Ihr Blick war auf einen Punkt zu seiner Rechten fixiert, wo sie offensichtlich den Türpfosten mit ihm verwechselte. Gilbert war vorübergehend abgelenkt, von ihrem Irrtum belustigt. Er schwenkte die Arme. »He, hier drüben, Süße. Sie sehen wohl nicht so besonders gut. Sie haben mich mit einem Kleiderständer verwechselt.«
»Ich sehe gut genug. Es sind meine Füße, die nicht mehr wollen«, sagte sie. »Ich bin fünfundachtzig Jahre alt.«
»Stimmt das? Da werden die Arme lahm, was?«
Helen sagte nichts. Ihr wäßriger Blick schweifte umher. Ich spähte auf der Suche nach einer Waffe im Raum umher und versuchte, einen Plan zu schmieden. Ich wollte die anderen nicht noch mehr gefährden. Seine Absichten schienen unzweifelhaft. Einer nach dem anderen würden wir gefesselt und geknebelt werden, woraufhin er uns umbringen würde, aber was konnten wir schon tun? Ich stand näher bei ihm als Laura, aber wenn ich versuchte, mich auf ihn zu stürzen, drehte er womöglich durch und feuerte los. Ich mußte bald etwas unternehmen, aber ich wollte nicht waghalsig sein, indem ich wie eine Heldin agierte, wenn uns das in eine noch schlechtere Lage bringen könnte als die, in der wir ohnehin schon steckten.
»Ich setze mich hin. Sie können mich ja erschießen, wenn es Ihnen nicht paßt«, sagte Helen.
Gilbert gestikulierte mit der Pistole. »Setzen Sie sich genau dorthin, wo Sie sind. Sie können die Hände für den Moment herunternehmen, aber fassen Sie nichts auf dem Tisch an.«
Sie sagte: »Danke.« Dann stützte sie die Hände auf den Tisch und ließ sich schwer auf den Stuhl sinken. Sie schüttelte ihren Mantel ab. Ich konnte sehen, wie sie vorsichtig die Finger streckte, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen, bevor sie die Hände in den Schoß legte.
Gilbert reckte sich, damit er Lauras Vorgehen beobachten konnte, als sie die Hände ihres Vaters mit Isolierband fesselte. Rays Arme befanden sich hinter seinem Körper. Damit seine Handgelenke sich hinter dem hölzernen Stuhl trafen, mußte er sich leicht nach vorn beugen und die Schultern zusammenziehen.
Gilbert schien Rays unbequeme Stellung zu genießen. »Wo ist der Bauchgurt?« fragte er Laura.
»Im anderen Zimmer.«
»Wenn du damit fertig bist, bringst du ihn hierher, damit wir sehen können, was wir da haben.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, ich solle sie fesseln.«
»Hol erst den Bauchgurt und feßle sie dann, du verfluchte Idiotin«, sagte er.
»Es sind nur achttausend Dollar. Du hast von einer Million gesprochen«, sagte sie gereizt. Sie legte die Rolle Isolierband beiseite und ging ins andere Zimmer. Ich für mein Teil hätte es nicht gewagt, ihm gegenüber einen solchen Ton anzuschlagen. Gilbert wirkte nicht erstaunt, was das Geld anging, und so mußte ich annehmen, daß Farley ihm neben allem anderen auch von den
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