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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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an. »Sicher. Kein Problem. Lassen Sie mich noch die Küche aufräumen, dann machen wir uns auf den Weg. Wenn Laura stirbt, haben Sie sie auf dem Gewissen. Sie hätten helfen können. Sie haben >nein< gesagt. Damit müssen Sie ebenso leben wie ich.«
    »Ich? Sie haben das verursacht. Ich fasse es nicht, daß Sie jetzt versuchen, es mir in die Schuhe zu schieben. Sie klingen genau wie Gilbert.«
    Er streckte eine Hand aus und faßte nach meiner. »He. Ich brauche Hilfe.« Einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. Dann sah ich beiseite. Sein Tonfall schlug um. Er versuchte, mich zu beschwatzen. »Lassen wir uns etwas einfallen. Wir beide. Weiter verlange ich nichts. Sie haben noch Stunden bis zu Ihrem Flug...«
    »Was für ein Flug? Ich habe zwar reserviert, aber ich habe kein Ticket, und ich bin völlig pleite.«
    »Was macht es Ihnen dann aus, hierzubleiben und zu helfen?«
    »Nun, das kann ich Ihnen erklären«, sagte ich. »Es sind noch zwei Tage bis Thanksgiving. Ich nehme an diesem Tag an einer Hochzeit teil, deshalb muß ich wieder zurück. Zwei sehr liebe Freunde von mir heiraten, und ich bin Brautjungfer, klar? Die Flughäfen werden unter dem Feiertagsansturm aus allen Nähten platzen. Ich kann nicht einfach bei den Fluglinien anrufen und mir irgendeinen x-beliebigen Flug aussuchen. Ich hatte schon Glück, daß ich diesen hier bekommen habe.«
    »Aber Sie können ihn nicht bezahlen«, erinnerte mich Ray.
    » Das weiß ich !«
    Er legte sich einen Finger an die Lippen und blickte bedeutungsvoll zum Schlafzimmer, wo seine Mutter schlief.
    »Ich weiß, daß ich ihn nicht bezahlen kann. Ich versuche ja schon, diesen Aspekt zu klären«, sagte ich in einem heiseren Flüsterton.
    Ray zog seinen Geldscheinclip hervor. »Wieviel?«
    »Fünfhundert.«
    Er steckte das Geld unberührt wieder ein. »Ich dachte, Sie hätten Freunde. Jemanden, der bereit ist, Ihnen die Kohle zu leihen.«
    »Die habe ich, wenn ich an ein Telefon komme. Ihre Mutter schläft.«
    »Sie wird gleich wieder aufstehen. Sie ist alt. Sie schläft nachts nicht viel, statt dessen macht sie kleine Nickerchen. Sowie sie aufwacht, können Sie in Kalifornien anrufen. Vielleicht kann Ihr Freund ja Ihr Flugticket auf eine Kreditkarte buchen lassen, und Sie bekommen diesen Flug doch noch. Passen Sie auf. Ich werfe einen Blick hinein und sehe nach, was sie macht. Was meinen Sie dazu?« Er ging zum Schlafzimmer und machte einen Riesenzauber daraus, die Tür einen Spaltweit zu öffnen. »Sie kommt jeden Moment heraus. Ich verspreche es. Ich kann sehen, wie sie sich herumwälzt.«
    »Oh, gut.«
    Er schloß die Tür wieder. »Aber helfen Sie mir dabei, herauszufinden, wo das Geld versteckt ist. Reden wir ein bißchen darüber. Das ist alles, was ich will.«
    Er streckte eine Hand aus und zeigte auf einen Stuhl am Tisch.
    Ich starrte ihn an, da hatten wir es, Leute. Altruismus und Eigennutz lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Würde ich den edelmütigen oder den niederen Weg einschlagen? Wußte ich momentan überhaupt, welcher welcher war? Bislang war fast alles, was ich getan habe, illegal gewesen, außer dem Staubsaugen: in Hotelzimmer einbrechen sowie entlaufene Strafgefangene unterstützen und ihnen Beihilfe leisten. Vermutlich hatte ich sogar mit dem Staubsaugen gegen irgendein Gewerkschaftsabkommen verstoßen. Warum sollte ich so spät noch zimperlich werden? »Sie sind ein solcher Schwätzer«, sagte ich.
    Er zog einen Stuhl heraus, und ich setzte mich. Ich kann es nicht fassen, daß ich das tat. Ich hätte zum Supermarkt an der Ecke marschieren und mir ein Münztelefon suchen sollen, aber was kann ich schon sagen? Ich hatte mich auf diesen Mann eingelassen, auf seine Tochter und auf seine alte, Nickerchen machende Mutter. Wie auf ein Stichwort kam sie aus dem Schlafzimmer hervor, mit wäßrigen Augen und voller Tatendrang. Sie hatte kaum fünfzehn Minuten gelegen und wollte gleich wieder aktiv werden. Er zog ihr einen Stuhl heran. »Wie fühlst du dich?«
    »Gut. Wesentlich besser«, sagte sie. »Was ist los? Was machen wir?«
    »Versuchen, herauszufinden, wo Johnny das Geld versteckt hat«, sagte Ray. Er hatte seiner Mutter vermutlich alles gestanden, da sie weder das Thema noch seine Beziehung dazu in Frage stellte. Mit fünfundachtzig hatte sie vermutlich keine Angst mehr davor, ins Gefängnis zu wandern. Von irgendwoher tauchten noch ein Stift und ein Schreibblock auf. »Wir können uns Notizen machen. Oder ich kann es«, sagte er, als er meinen

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