Letzte Ehre
Blick auffing. »Sie möchten wahrscheinlich zuerst telefonieren. Der Apparat ist dort drin.«
»Ich weiß, wo das Telefon ist. Ich bin gleich wieder da«, sagte ich. Mit Hilfe meiner Kreditkarte meldete ich ein weiteres Gespräch bei Henry an. Wie das Schicksal es wollte, war er immer noch nicht zu Hause. Ich hinterließ eine zweite Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, in der ich ihm erklärte, daß mein Rückflug aufgrund eines finanziellen Engpasses meinerseits in Frage stand. Ich nannte erneut Helens Telefonnummer und bat ihn eindringlich darum, mich anzurufen, um zu erfahren, ob er eine Lösung dafür wußte, daß ich doch noch wie geplant das Flugzeug besteigen konnte. Da ich schon dabei war, wählte ich noch die Nummer von Rosie’s Restaurant, bekam aber lediglich ein Besetztzeichen zu hören. Ich ging wieder in die Küche.
»Wie ist es gelaufen?« fragte Ray beflissen.
»Ich habe Henry eine Nachricht hinterlassen. Ich hoffe, daß er mich im Laufe der nächsten Stunde oder so zurückruft.«
»Jammerschade, daß Sie ihn nicht erreicht haben. Ich glaube, es hat wohl keinen Sinn, zum Flughafen hinauszufahren, bevor Sie mit ihm gesprochen haben.«
Ich setzte mich an den Tisch und ignorierte sein Mitgefühl, das eklatant unecht war. Ich sagte: »Fangen wir mit den Schlüsseln an.«
Ray machte sich eine Notiz auf dem Block. Sie lautete »Schlüssel«. Dann zog er einen Kreis darum und blinzelte nachdenklich. »Was kümmern uns die Schlüssel, solange Gilbert sie hat?«
»Sie sind immerhin der einzige greifbare Anhaltspunkt, den wir haben. Schreiben Sie einfach auf, was wir noch wissen.«
»Was denn? Ich weiß nichts mehr.«
»Also, der eine war aus Eisen. Etwa fünfzehn Zentimeter lang, ein altmodischer Buntbartschlüssel, Marke Lawless. Der andere war ein Master...«
»Moment mal. Woher wissen Sie das?«
»Ich habe sie mir angesehen«, antwortete ich. Ich wandte mich an Helen. »Haben Sie ein Telefonbuch? Ich habe dort drinnen keines gesehen, und wir werden vermutlich eines brauchen.«
»Es ist in der Kommodenschublade. Warten Sie einen Augenblick. Ich hole es«, sagte Ray und erhob sich. Dann verschwand er im Schlafzimmer.
Ich rief ihm nach: »Haben Sie je von Lawless gehört? Ich habe mir gedacht, es könnte ein lokaler Hersteller sein.« Ich sah zu Helen hinüber. »Sagt Ihnen das irgend etwas?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nie gehört.«
Ray kam mit zwei Telefonbüchern in der Hand zurück, den Privatanschlüssen von Louisville und den Gelben Seiten. »Wie kommen Sie darauf, daß es eine lokale Marke ist?«
Ich nahm die Gelben Seiten an mich. »Ich bin Optimistin«, sagte ich. »Bei meiner Arbeit fange ich immer mit dem Offensichtlichen an.« Er legte das andere Telefonbuch auf einen freien Stuhl. Ich blätterte die Seiten durch, bis ich die Rubrik »Schlosser« fand. Es war kein »Lawless« zu finden, aber die Louisville Locksmith Company erschien mir vielversprechend. Die große, auffällige Anzeige wies darauf hin, daß die Firma seit 1910 existierte. »Wir könnten es auch in der Stadtbibliothek versuchen. Die Telefonbücher aus den vierziger Jahren könnten aufschlußreich sein.«
»Sie ist Privatdetektivin«, sagte Ray zu seiner Mutter. »So ist sie in die Sache hineingeraten.«
»Hm, ich habe mich schon gefragt, wer sie ist.«
Ich legte das Telefonbuch auf den Tisch, aufgeklappt auf der Seite, wo die Schlosser standen. Ich zeigte auf die Anzeige der Louisville Locksmith Company. »Wir rufen gleich dort an«, erklärte ich. »Wo waren wir stehengeblieben?« Ich warf einen Blick auf seine Notizen. »Ach ja, der andere Schlüssel war ein Master. Ich glaube, sie stellen nur Vorhängeschlösser her, aber das können wir auch fragen, wenn wir mit dem Fachmann sprechen. Folgendes ist die Frage: Suchen wir nach einer großen und dann einer kleineren Tür? Oder einer Tür und dann einem Schränkchen oder einem Schließfach — irgend etwas in der Richtung?«
Ray zuckte die Achseln. »Vermutlich ersteres. Damals in den vierziger Jahren gab es diese Schließfachanlagen zur Selbstbedienung, die man heute hat, noch gar nicht. Wo auch immer Johnny das Geld gelagert hat, er mußte sichergehen, daß es nicht aufgespürt würde. Es kann kein Banksafe sein, weil der Schlüssel nicht danach aussieht. Außerdem hat der gute Mann Banken gehaßt. Dadurch ist er ja überhaupt erst in Schwierigkeiten geraten. Er wird wohl kaum mit der Beute aus einem Bankraub in eine Bank spazieren, stimmt’s?«
»Ja,
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