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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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war ein offenes Haus.«
    »Aber Sie hätten nicht gehen dürfen. Sie waren nach wie vor Häftling? Oder nicht?«
    »He, da war kein einziger Zaun. Wir waren auch nachts nicht in unseren Zellen eingeschlossen. Wir hatten nicht einmal Zellen. Wir hatten Zimmer«, sagte er. »Es ist also eher so, daß ich mich unerlaubt entfernt habe. Ja, so ungefähr.«
    »Oh, Mann«, sagte ich. Ich stieß einen tiefen Atemzug aus und erwog die Konsequenzen. »Woher haben Sie dann einen Führerschein?«
    »Hab’ ich nicht. Ich habe keinen.«
    »Sie sind ohne gefahren? Wie haben Sie es geschafft, ohne Führerschein ein Auto zu mieten?«
    »Hab’ ich nicht.«
    Ich schloß die Augen und wünschte, ich könnte mich auf den Boden legen und ein Nickerchen machen. Ich schlug die Augen wieder auf. »Sie haben den Mietwagen gestohlen?« Ich konnte es nicht ändern. Ich wußte, daß meine Stimme vorwurfsvoll klang, aber das lag in erster Linie daran, daß ich ihm etwas vorwarf.
    Rays Mundwinkel verzogen sich nach unten. »Ich schätze, so könnten Sie es nennen. Es wird also folgendermaßen laufen: Wir rufen die Bullen, sie überprüfen mich, und ich wandere wieder zurück. Tolle Sache.«
    »Sie würden das Leben Ihrer Tochter aufs Spiel setzen, damit Sie nicht zurück ins Gefängnis müssen?«
    »Es ist nicht nur das.«
    »Was noch?«
    Er drehte sich um und sah mich an, seine haselnußbraunen Augen glasklar. »Wie soll ich mit Gilbert fertig werden, wenn ich eine Horde Bullen auf dem Hals habe?«
    »Ray, Sie müssen mir vertrauen. Das ist es nicht wert. Sie wandern für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter.«
    »Was für einen Rest? Ich bin fünfundsechzig Jahre alt. Wieviel bleibt mir dann noch?«
    »Stellen Sie sich nicht dumm. Ihnen bleiben noch einige Jahre. Sehen Sie nur Ihre Mom an. Sie werden hundert. Vermasseln Sie sich das nicht.«
    »Kinsey, hören Sie mal. Ich sage Ihnen die Wahrheit«, erklärte er. »Wenn wir die Bullen rufen, wissen Sie, was dann passiert? Wir fahren zum Gefängnis. Wir füllen Formulare aus. Sie stellen uns einen Haufen Fragen, die ich nicht beantworten will. Entweder überprüfen sie mich oder nicht. Wenn sie mich überprüfen, bin ich weg vom Fenster, und damit ist Laura erledigt. Und wenn sie mich nicht überprüfen, was ändert das schon groß’? Wir sind trotzdem geliefert. Die Stunden vergehen, und was dann? Es wird sich herausstellen, daß die Bullen keinen Furz zustande bringen. Oh, das tut uns aber leid. Und wir stehen wieder auf der Straße und haben immer noch keinen blassen Schimmer, wo das Geld steckt. Glauben Sie mir. Wenn Gilbert uns wieder auf den Pelz rückt, will er keine Ausreden hören. Was sollen wir ihm auch sagen? >Tut uns leid, daß wir das Geld noch nicht gefunden haben. Wir wurden auf der Polizeiwache aufgehalten, und die Zeit ist uns davongelaufen.<«
    »Sagen Sie ihm, daß Sie daran arbeiten. Sagen Sie ihm, Sie haben das Geld und wollen sich irgendwo mit ihm treffen. Dann können ihn die Bullen abholen.«
    Ray blickte gelangweilt drein. »Sie haben zuviel ferngesehen. In Wirklichkeit vermasseln die Bullen die Hälfte aller Fälle, bei denen sie eingreifen. Der Verbrecher wird festgenommen, und das Opfer kommt ums Leben. Und wissen Sie, was als nächstes passiert? Riesenverhandlung. Medienwirbel. Ein Staranwalt kommt daher und schwatzt von der problematischen Jugend eines Kidnappers. Davon, daß er geistig gestört ist und daß das Opfer ihn beleidigt hat und er die Entführung nur zur Selbstverteidigung unternommen hat. Tausende und Abertausende von Dollars werden verschleudert. Die Jury kann sich nicht einigen, und der Kerl geht seiner Wege. In der Zwischenzeit ist Laura tot, und ich sitze wieder im Knast. Wer trägt also den Sieg davon? Ich nicht, und sie garantiert auch nicht.«
    Ich merkte, wie die Wut in mir anschwoll. Ich warf das Geschirrtuch beiseite. »Wissen Sie, was? Sie können machen, was Sie wollen. Es ist weiß Gott nicht mein Problem. Sie wollen also die Polizei nicht rufen. Gut. Das ist Ihre Sache. Ich verschwinde.«
    »Zurück nach Kalifornien?«
    »Wenn ich es schaffe«, sagte ich. »Natürlich nehme ich an, daß Sie mir jetzt, nachdem Gilbert die acht Riesen hat, den Rückflug nicht bezahlen werden, so wie Sie es versprochen haben, aber das tut nichts zur Sache. Ich habe nicht genug Geld für ein Taxi zum Flughafen, daher wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich hinfahren würden. Das ist das mindeste, was Sie tun können.«
    Seine Wut schwoll proportional zu meiner

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