Letzte Ehre
Road«, sagte Helen. »Ich weiß nicht warum, aber das ist mir im Gedächtnis geblieben. Weißt du das nicht mehr?«
Ray lief vor Freude rot an. »Sie hat recht«, sagte er. »Wie kommt es, daß du das noch weißt?«
»Ich hab’s im Radio gehört«, sagte sie. »Ich hatte solche Angst. Ich dachte, daß du bei ihm wärst. Ich wußte ja nicht, daß ihr zwei euch getrennt hatte, und ich war überzeugt, daß du gefaßt worden bist.«
»Bin ich auch. Nur zufälligerweise woanders«, sagte er.
»Wie schnell nach dem Raub ist Johnny gefaßt worden?«
Rays Blick ruhte auf meinem. »Sie glauben, er hat die Sachen irgendwo zwischen der Bank in der Innenstadt und der Stelle, wo er gefaßt wurde, verstaut?«
»Es sei denn, er hatte Zeit, in eine andere Stadt zu fahren und wiederzukommen«, sagte ich. »Es ist wie bei diesem Spruch, daß man etwas immer an der Stelle findet, wo man zuletzt sucht. Ich meine, es liegt doch auf der Hand. Wenn man erst einmal gefunden hat, was man sucht, sucht man nicht mehr woanders. Das letzte Mal, als Sie ihn gesprochen haben, hatte er die Säcke voller Geld. Als er festgenommen wurde, waren sie weg. Deshalb muß das Geld irgendwann in der Zeit dazwischen versteckt worden sein. Übrigens haben Sie nicht gesagt, wie lang der Zeitraum war.«
»Einen halben Tag.«
»Also ist er vermutlich nicht weit gekommen.«
»Ja, das stimmt. Ich habe auch immer gedacht, daß das Geld irgendwo hier in der Stadt sein muß. Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, daß er weggefahren und wiedergekommen sein könnte. Herrje. Ich schätze, es könnte überall im Umkreis von hundert Meilen sein.«
»Wir sollten davon ausgehen, daß es hier in Louisville ist. Ich möchte nicht ganz West-Kentucky abgrasen müssen.«
Ray sah auf seine Notizen hinab. »Was haben wir sonst noch? Das hier sieht nicht nach viel aus.«
»Warten Sie. Versuchen Sie’s mal damit. Der kleine Schlüssel hatte eine Zahl eingraviert. Das ist mir gerade wieder eingefallen«, sagte ich. »M550. Das ist quasi mein Geburtsdatum, ich habe ihn nämlich am fünften Mai.«
»Und was hilft uns das?«
»Wir könnten zum Schlosser gehen und uns einen schleifen lassen.«
»Und ihn wo verwenden?«
»Tja, das weiß ich nicht, aber wenigstens haben wir dann einen der Schlüssel in unserem Besitz.«
Ray sagte: »Für mich hinkt das. Wir klammern uns im Grunde an Strohhalme.«
»Ray, kommen Sie schon. Man arbeitet mit dem, was man hat«, sagte ich. »Glauben Sie mir, ich habe schon mit weniger angefangen und es trotzdem geschafft.«
»In Ordnung«, sagte er skeptisch. Er notierte sich die Adresse der Schlosserei. Dann griff er nach seiner Jacke, die über dem Stuhl hing.
Ich stand gleichzeitig mit ihm auf und knöpfte meinen Blazer zu, um es wärmer zu haben. »Was ist mit Ihrer Mutter? Ich finde, daß wir sie nicht hier allein lassen sollten.«
Allein der Gedanke ließ sie schon aufschrecken. »O nein. Ich bleibe nicht allein hier«, sagte sie heftig. »Nicht solange dieser Kerl frei rumläuft. Was, wenn er zurückkommt?«
»Gut. Wir nehmen dich mit. Du kannst im Auto warten, während wir unsere Besorgungen erledigen.«
»Und bloß dasitzen?«
»Warum nicht?«
»Hm, ich kann schon dasitzen, aber nicht unbewaffnet.«
»Ma, ich lasse dich nicht mit einer geladenen Schrotflinte im Auto sitzen. Wenn die Bullen vorbeikommen, werden sie denken, wir überfallen den Laden.«
»Ich habe einen Baseballschläger. Das war Freidas Idee. Sie hat einen Louisville Slugger gekauft und ihn unter meinem Bett versteckt.«
»Mein Gott, diese Freida ist ein richtiger Artillerist.«
»Artillerist in «, verbesserte seine Mutter keß.
»Hol deinen Mantel«, sagte er.
19
Der Laden von Louisville Locksmith lag im westlichen Teil der Main Street in einem dreistöckigen Gebäude aus dunkelrotem Backstein, das vermutlich in den dreißiger Jahren errichtet worden war. Ray fand einen Parkplatz in einer Seitenstraße, woraufhin sich ein kurzer Wortwechsel entspann, in dessen Verlauf sich Helen weigerte, wie vereinbart im Auto zu warten. Schließlich gab er nach und ließ sie mitkommen, obwohl sie darauf bestand, ihren Baseballschläger mitzunehmen. Die Vorderseite des Ladens war schmal und von dunklen Steinsäulen flankiert. Sämtliche Holzverzierungen waren schlammbraun gestrichen, und das einzige Fenster zur Straße war mit handgeschriebenen Zetteln übersät, die die verschiedenen angebotenen Leistungen auflisteten: Installation von Stangenschlössern,
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