Letzte Ehre
der eine Schlange rettet und dann von ihr tödlich gebissen wird. Er jammert rum: >He, warum hast du das getan, wo ich dir doch das Leben gerettet habe?< Und die Schlange sagt: >He, Kumpel, du hast doch schon, als du mich aufgehoben hast, gewußt, daß ich eine Giftschlange bin.<«
»Gilbert, ich muß dir etwas sagen. Ich habe mir nie eingebildet, daß du ein netter Kerl bist. Noch nie.« Ganz beiläufig griff Ray nach hinten, und als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt er darin eine Smith & Wesson 38 Special.
Gilbert lachte. »Verflucht noch mal. Eine Schießerei. Das wird lustig.«
»Eher für mich als für dich«, sagte Ray. Seine Augen funkelten vor Bosheit, doch Gilbert schien lediglich belustigt zu sein, als betrachtete er Ray nicht als ernstzunehmende Bedrohung.
»Daddy, nicht«, sagte Laura.
Ich sagte: »Kommt schon, Leute. Das ist doch nicht nötig. Es ist jede Menge Geld da...«
»Es geht hier nicht um Geld«, sagte Ray. Er sah nicht zu mir her. Er blickte unverwandt Gilbert an, wobei die beiden nicht mehr als drei Meter voneinander entfernt standen. »Hier geht es um einen Kerl, der meine Tochter mißhandelt und meine Ex-Frau zusammengeschlagen hat. Hier geht es um Darrell und Farley, du Arschloch. Verstehen wir uns?«
»Voll und ganz«, sagte Gilbert.
Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück und war dermaßen auf die beiden Männer konzentriert, daß ich nicht sah, was Helen machte. Sie hob den Baseballschläger in die Höhe, schwang ihn heftig in Richtung von Gilberts ungefährem Standort und hieb beim Zurückschwingen Ray auf den Arm. Gilbert erwischte sie überhaupt nicht, und mich hätte sie beinahe auf den Mund geschlagen. Ich konnte den Luftzug an den Lippen spüren, als der Schläger an mir vorbeizischte. Beim Durchschwung traf sie das Auto, und der Aufprall riß ihr den Schläger prompt aus der Hand.
»Herrgott, Ma! Hau ab hier. Schafft sie hier weg!«
Laura schrie und duckte sich. Ich warf mich zu Boden und sah gerade noch rechtzeitig auf, um Gilbert zielen und auf sie feuern zu sehen. Ein Klicken ertönte. Er sah verblüfft auf den Colt hinab. Er spannte die Waffe erneut und drückte den Abzug. Es klickte wieder. Er zog den Schieber zurück, warf eine Patrone aus und ließ ihn dann wieder nach vorn gleiten, womit eine weitere Patrone in die Kammer gelangte. Er schwenkte die Pistole herum und zielte auf Ray. Er drückte den Abzug. Klick. Er spannte erneut und drückte den Abzug. Klick. »Was zum Teufel?« stieß er hervor.
Ray lächelte. »Ach, ich muß mich schämen. Ich hätte erwähnen sollen, daß ich den Schlagbolzen verkürzt habe.«
Ray drückte ab, und Gilbert sank mit einem seltsamen Geräusch zu Boden, als wäre die Luft aus ihm herausgedrückt worden. Ray bewegte sich lässig vorwärts, bis er direkt über Gilbert stand. Er schoß noch einmal.
Gebannt starrte ich ihn an, als er ein weiteres Mal abdrückte.
Ray wandte sich um und blickte in meine Richtung. Er sagte: »Laß das.«
Aus dem Augenwinkel sah ich gerade noch die Umrisse einer Bewegung, und dann hörte ich auch schon das Knallen des Baseballschlägers, als er auf meinen Kopf aufschlug. In dem Sekundenbruchteil, bevor sich die Finsternis herabsenkte, warf ich Helen einen betrübten Blick zu. Ihre unberechenbare Schlagweise hatte ein abruptes Ende genommen, und sie hatte mir einen Volltreffer verpaßt. Das einzige Problem war, daß ich sie sehen konnte und ihre Hände leer waren. Diesmal war Laura am Schlag, und ich war weg, weg, weg.
Ich verbrachte die Nacht mit den vermutlich schlimmsten Kopfschmerzen, die ich je in meinem Leben gehabt hatte, in einem Zweibettzimmer in einer Klinik namens Baptist East. Wegen der Gehirnerschütterung wollte mir der Arzt keine Schmerzmittel geben, und meine Lebensfunktionen wurden ungefähr jede halbe Stunde kontrolliert. Da ich ohnehin nicht schlafen durfte, verbrachte ich zwei quälende Stunden damit, mich von zwei Detectives vom Sheriffbüro Oldham County befragen zu lassen. Die beiden waren ganz nett, aber natürlich standen sie meiner Geschichte skeptisch gegenüber. Sogar mit meiner Gehirnerschütterung log ich das Blaue vom Himmel herunter und reinigte mich während des Erzählens von jeglicher Schuld. Schließlich wurde ein Anruf beim Courier-Journal getätigt, und ein schlechtbezahlter Reporter ging die alten Jahrgänge durch, bis er einen Bericht über den Bankraub fand, mitsamt den Namen sämtlicher Verdächtiger und zahlreichen phantasievollen
Weitere Kostenlose Bücher