Letzte Ehre
Gilberts Aufmerksamkeit wurde vom Anblick seiner Pistole in Rays Hosenbund abgelenkt. »He, Ray. Möchtest du sie zurückgeben?«
»Zuerst will ich die Schlüssel«, sagte Ray.
»Fangen wir doch keinen beschissenen Streit an«, sagte Gilbert.
Seine rechte Hand schob sich zu Lauras Kehle hoch, und mit einem Schnappen schoß die Klinge aus dem Messer, das er in seiner Handfläche verborgen hatte. Die Spitze ritzte ihre Haut, und das Keuchen, das sie ausstieß, war voller Staunen und Schmerz. »Daddy?«
Ray sah die Bluttröpfchen und die absolute Reglosigkeit, mit der sie dastand. Er blickte zu seinem Hosenbund hinunter, wo der Colt steckte. Er nahm ihn heraus und hielt ihn Gilbert mit dem Griff nach vorne entgegen. »Hier. Da hast du das Scheißding. Nimm die Klinge von ihrem Hals weg.«
Gilbert musterte ihn und zog die Klinge kaum merklich zurück. Laura regte sich nicht. Ich sah, wie das Blut den Kragen ihres T-Shirts tränkte. Tränen liefen über ihre Wangen.
Ray winkte ungeduldig. »Komm schon, da ist die Knarre. Und nimm endlich das Messer von ihrer Kehle weg.«
Gilbert drückte einen Knopf auf dem Messergriff, und die Klinge verschwand. Laura legte eine Hand gegen ihre Wunde und sah auf ihre blutigen Fingerspitzen. Sie ging auf einen Küchenstuhl zu und setzte sich, wobei sämtliche verbliebene Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war. Gilbert nahm das Messer in die linke Hand und griff mit der rechten nach der Pistole. Er kontrollierte das Magazin, das vollständig geladen war, und steckte sich die Waffe dann in den Hosenbund, mit gespanntem Hahn und gesichert. Er schien lockerer zu werden, nun, da die Pistole wieder in seinem Besitz war. »Wir müssen einander vertrauen, klar? Sowie ich meinen Anteil von dem Geld habe, geht sie mit dir, und wir sind quitt.«
»Abgemacht«, sagte Ray. Es war nicht zu übersehen, daß er vor Wut schäumte, was Gilbert durchaus wahrnahm.
»Lassen wir Vergangenes ruhen. Wir können uns darauf die Hände schütteln«, sagte Gilbert. Er streckte die Hand aus.
Ray warf einen kurzen Blick darauf, und schließlich schüttelten sich die beiden die Hände. »Jetzt laß uns weitermachen, und keine krummen Touren.«
Gilberts Lächeln war ausdruckslos. »Ich habe keine krummen Touren nötig, solange ich sie habe.«
Laura hatte den Austausch mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben beobachtet. »Was machst du denn da? Warum gibst du ihm die Pistole?« sagte sie zu Ray. »Glaubst du wirklich, daß er sein Wort halten wird?«
Gilberts Miene verzog sich nicht ein bißchen. »Halt dich da raus, Kleine.«
Ihr Tonfall war von Empörung gezeichnet, in ihren Augen stand der Verrat. »Er wird das Geld nicht teilen. Bist du wahnsinnig? Sag ihm einfach, wo es ist, und laß uns von hier verschwinden, bevor er mich umbringt.«
»He!« sagte Ray. »Hier geht’s ums Geschäft, ja? Ich habe wegen diesem Geld vierzig Jahre im Knast verbracht, und ich ziehe jetzt nicht den Schwanz ein, weil du Probleme mit dem Kerl hat. Wo warst du denn all die Jahre? Ich weiß, wo ich war. Aber du? Du kommst daher und erwartest, daß ich dich rauspauke. Gut, ich pauke dich raus, okay? Also weshalb hältst du dich nicht zurück und läßt mich das auf meine Weise erledigen?«
»Daddy, hilf mir. Du mußt mir helfen.«
»Das tue ich ja. Ich bezahle für dein Leben, und das kommt mich nicht billig. Aber das Geschäft mache ich mit ihm, also halt dich da raus.«
Lauras Gesicht nahm einen versteinerten Ausdruck an, und sie starrte mit zusammengebissenen Zähnen zu Boden. Gilbert schien es zu genießen, daß sie eine Abfuhr hatte einstecken müssen. Er machte eine Bewegung, als ob er sie anfassen wollte, doch sie schlug seine Hand beiseite. Gilbert lächelte in sich hinein und sandte ein Zwinkern in meine Richtung. Ich traute keinem von ihnen, und das verursachte mir Magenschmerzen.
Ich sah zu, während Ray die Spielregeln erläuterte und Gilbert über die Anrufe, die wir getätigt hatten, und die Überlegungen dahinter informierte. Ich bemerkte, daß er ein paar zweckdienliche Angaben wegließ, wie zum Beispiel den Namen des Friedhofs und den Namen auf dem Grabmal. »Wir haben das Geld noch nicht gefunden, aber wir sind nahe daran. Wenn du etwas davon haben willst, könntest du dich anschließen und mithelfen«, sagte Ray mit haßerfülltem Blick. Ein eisiges Lächeln wanderte zwischen ihnen hin und her, voller Versprechungen. Ich blickte vom einen zum anderen und hoffte inbrünstig, daß ich nicht dabei
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