Letzte Ehre
einfachen Einkerbungen am Ende. Er hielt ihn in die Höhe. »Kennt den jemand?«
»Ich bestimmt nicht«, sagte ich und wandte mich an Chester. »Wissen Sie, was das ist?«
»Nee, aber jetzt fällt mir wieder ein, daß Pappy andauernd an Schlössern herumgebastelt hat. Das hat ihn begeistert. Es hat ihm Spaß gemacht, ein Schloß aus einer Tür auszubauen und einen passenden Schlüssel dafür zurechtzufeilen.«
»Ich habe ihn das nie machen sehen«, meinte Bucky.
»Das war, als ich noch ein Kind war. Er hat während der Depression für einen Schlosser gearbeitet. Ich weiß noch, daß er mir erzählt hat, wie amüsant das war. Er hatte eine ganze Sammlung alter Schlösser — vermutlich an die hundert — , aber die habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
Ich drehte den Schlüssel in meiner Hand um. Er war aufwendig verziert, der Griff war gewellt und hatte am anderen Ende ein Loch wie ein Rollschuhschlüssel. Von oben betrachtet hatte das Ding beinahe die Form eines Fragezeichens. »Das Schloß und das Schlüsselloch müssen reichlich seltsam aussehen. Sie erinnern sich nicht, vielleicht etwas in der Art hier gesehen zu haben?«
Chester verzog den Mund nach unten. »Ich nicht. Wie steht’s mit euch beiden? Ihr kennt das Haus im Moment besser als ich.«
Bucky schüttelte den Kopf, und Babe zuckte leicht die Achseln.
Ich hielt Bergan Jones den Schlüssel hin. »Fällt Ihnen etwas ein?«
Jones lächelte ein wenig und ließ die Schlösser an seinem Werkzeugkasten einschnappen. »Sieht aus wie der Schlüssel zu einem Tor. Eines dieser großen alten Eisendinger, wie man sie auf Landsitzen hat.« Er wandte sich an Chester. »Soll ich Ihnen dafür eine Rechnung schicken?«
»Ich gebe Ihnen einen Scheck. Kommen Sie mit nach unten in die Küche, dann erledigen wir das. Sie haben wahrscheinlich inzwischen mitbekommen, daß mein Vater vor ein paar Monaten gestorben ist. Wir sind immer noch dabei, seine Sachen zu ordnen. Der Safe war eine Überraschung für uns. Die Leute sollten Anweisungen hinterlassen. Was zum Teufel das ist und wer es bekommen soll. Auf jeden Fall danken wir Ihnen für Ihre Hilfe.«
»Dazu bin ich ja da.«
Die beiden Männer zogen ab und ließen Bucky, Babe und mich in Betrachtung des Schlüssels zurück. Bucky sagte: »Und jetzt?«
»Ich habe einen Freund, der eine Menge über Schlösser weiß«, sagte ich. »Er könnte eine Idee haben, in was für ein Schloß dieses Ding paßt.«
»Nichts dagegen. Sonst kommen wir sowieso nicht weiter.«
Babe nahm den Schlüssel und inspizierte ihn mit gerunzelter Stirn. »Vielleicht hat Pappy ihn aufgehoben, weil er ihm gefiel«, sagte sie. »Er ist hübsch. Altmodisch.« Sie reichte ihn Bucky, der ihn wieder mir gab.
»Ja, aber weshalb sich die Mühe machen, ihn in einem feuersicheren Safe aufzubewahren? Er hätte ihn auch in eine Schublade legen können. Oder ihn an einer Kette um den Hals tragen«, meinte er.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, frage ich mal, was mein hiesiger Experte dazu zu sagen hat.«
»Ist mir recht«, sagte Bucky.
Ich schob den Schlüssel in eine Tasche meiner Jeans, ohne die Tatsache zu erwähnen, daß mein Experte der Einbrecher war, der mir auch den Satz Dietriche geschenkt hatte, die ich in meiner Handtasche herumtrage.
Als ich zu Fuß nach Hause zurückging, ließ ich die ganze Abfolge der Ereignisse noch einmal Revue passieren. Ich muß gestehen, daß die vergangenen vierundzwanzig Stunden meine Neugier geweckt hatten. Es war nicht unbedingt Chesters Spionagetheorie, die mir nach wie vor weit hergeholt vorkam. Was mich störte, waren die schwammigen, unbeantworteten Fragen, die im Leben des alten Mannes auftauchten. Ich mag Ordnung und Sauberkeit: kein Durcheinander und keine Staubflocken unter dem Bett.
Zu Hause angekommen, setzte ich mich an meinen Schreibtisch, holte einen Stapel Karteikarten heraus und fing an, mir Notizen zu machen. Es war erstaunlich, an wie viele Einzelheiten ich mich tatsächlich erinnern konnte, wenn ich erst einmal anfing, sie zu Papier zu bringen. Als ich das Thema erschöpfend behandelt hatte, hängte ich die Karten an die Kork-Pinnwand über meinem Schreibtisch. Ich legte die Füße auf den Tisch, lehnte mich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf meinem Drehstuhl zurück und studierte die Ansammlung. Irgend etwas stimmte nicht, aber ich kam nicht darauf, was es war. Ich tauschte ein paar Karten aus und hängte sie anders angeordnet wieder auf. Es war etwas, das ich gelesen
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