Letzte Ehre
ein Aspirin bringen, vermache ich Ihnen etwas in meinem Testament.«
»Ich sehe hinten mal nach. Ich werde schon was finden.« Sie wandte sich mir zu. »Wie wär’s mit Kaffee? Sie sehen aus, als könnten Sie welchen gebrauchen.«
Stumm hielt ich meine Kaffeetasse in die Höhe, die sie bis unter den Rand füllte. Sie stellte die Kaffeekanne beiseite und griff nach ihrem Bestellblock. »Möchten Sie schon bestellen, oder brauchen Sie noch ein bißchen?«
»Das tut’s schon«, sagte ich und meinte damit, daß die Tasse Kaffee reichen würde.
Ray meldete sich zu Wort. »Frühstücken Sie doch etwas. Ich lade Sie ein. Das ist das mindeste, was ich tun kann.«
Ich sah wieder die Bedienung an. »In diesem Fall hätte ich gern Kaffee, Orangensaft, Speck, Würstchen, drei Rühreier und Roggentoast.«
Er hielt zwei Finger in die Höhe. »Ich auch.«
Nachdem sie abgezogen war, stützte er sich nach vorn auf die Ellbogen. Er sah aus wie ein Halbschwergewichtler am Tag, nachdem der Meistertitel wieder an den anderen zurückgefallen war. »Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie sauer sind, aber ehrlich gesagt... nach dem Einbruch bei Johnny habe ich nicht gedacht, daß er noch einmal kommen würde. Ich war der Meinung, daß es damit erledigt wäre, aber wer konnte das schon wissen?«
»>Er< — wer?«
»Darauf komme ich noch«, sagte er. »Ach, bevor ich es vergesse. Erinnern Sie sich an den Schlüssel, den Bucky aus Johnnys Safe geholt hat?«
»Ja«, sagte ich vorsichtig.
»Haben Sie ihn noch?«
Ich zögerte einen Sekundenbruchteil und log dann instinktiv. Warum sollte ich mich ihm anvertrauen? Bis jetzt hatte er mir auch nichts gesagt. »Ich habe ihn nicht bei mir, aber ich weiß, wo er ist. Weshalb?«
»Ich habe über ihn nachgedacht. Ich meine, er muß ja wichtig sein. Warum sollte ihn Johnny sonst in seinem Safe aufbewahren?«
»Ich dachte, Sie wüßten das. Haben Sie Charlie nicht erzählt, daß ich wegen des Schlüssels in Gefahr sei?«
»Gefahr? Ich nicht. Das habe ich niemals gesagt. Ich frage mich, wie er auf diese Idee kommt.«
»Ich habe gestern abend mit Henry gesprochen. Er sagt, auf diese Weise hätten Sie Charlie dazu gebracht, Ihnen zu verraten, wo ich bin. Sie haben gesagt, ich sei in Gefahr, und deshalb hat Ihnen Charlie die Information ja auch gegeben.«
Ray schüttelte verblüfft den Kopf. »Er muß mich falsch verstanden haben«, sagte er. »Klar, ich habe nach Ihnen gesucht, aber ich habe nichts von Gefahr gesagt. Das ist ja merkwürdig. Der alte Knabe hört schlecht. Vielleicht hat er sich geirrt.«
»Macht ja nichts. Lassen wir das beiseite. Sprechen wir von etwas anderem.«
Er blickte hinüber zum Eingang des Restaurants, wo sich eine buntgemischte Truppe Heranwachsender zu sammeln begann. Es mußten dieselben Kinder gewesen sein, die ich am Vortag die Straße hinauslaufen gesehen hatte. Sie mußten zu irgendeiner Leichtathletikveranstaltung hier gewesen sein. Der Geräuschpegel stieg an, und Ray erhob die Stimme, um sich gegen den Lärm durchzusetzen. »Wissen Sie, Sie haben mich neulich in meinem Hotelzimmer wirklich erstaunt.«
»Wie das?«
»Sie hatten recht in bezug auf Johnny. Er war nie bei der Armee. Er war im Gefängnis, genau wie Sie gesagt haben.«
Ich liebe es, recht zu haben. Es hebt regelmäßig meine Stimmung. »Was ist mit der Geschichte, wie Sie sich kennengelernt haben? War daran irgend etwas Wahres?«
»Im wesentlichen schon«, antwortete er. Er hielt inne und lächelte und entblößte dabei eine Lücke anstelle des ersten Backenzahns. Dann legte er sich eine Hand auf eine Stelle seiner Wange, wo ein tiefblauer Bluterguß von einem dunkelvioletten Ring umgeben war. »Sehen Sie jetzt nicht hin, aber wir sind umzingelt.«
Das Läuferteam schien sich auszudehnen und uns zu umgeben wie eine Flüssigkeit, während es sich in Nischen auf allen Seiten um uns herum niederließ. Die einsame Kellnerin teilte Speisekarten aus wie Programme für eine Sportveranstaltung.
»Hören Sie auf, Zeit zu schinden«, sagte ich.
»Entschuldigung. Wir haben uns in Louisville kennengelernt, aber nicht bei den Jefferson Boat Works. Und auch nicht 194z. Es war schon früher. Etwa 39 oder 40. Wir haben zusammen in der Ausnüchterungszelle gesessen und uns angefreundet. Ich war damals neunzehn und schon ein paarmal im Knast gewesen. Wir sind ein bißchen zusammen herumgezogen, Sie wissen schon, einfach Mist bauen. Keiner von uns ist zur Armee gegangen. Wir waren beide 4-F. Ich weiß
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