Letzte Ehre
nicht mehr, was für ein Leiden Johnny hatte. Irgend etwas mit einer Bandscheibenfraktur. Ich hatte zwei geplatzte Trommelfelle und ein kaputtes Knie. Bei schlechtem Wetter macht mir das Ding immer noch Ärger. Auf jeden Fall mußten wir irgend etwas tun — wir langweilten uns zu Tode — , und so haben wir angefangen, Einbrüche zu machen und Lagerhäuser, Läden und so auszuräumen, Sie wissen schon. Ich nehme an, wir haben ein Ding zuviel gedreht und sind dabei auf frischer Tat ertappt worden. Ich mußte dann ins Bezirksgefängnis, aber ihn haben sie in die staatliche Besserungsanstalt nach Lexington geschickt. Er hat zwanzig Monate einer Strafe von fünf Jahren abgesessen und ist mit seiner Familie nach Kalifornien gezogen. Danach ist er sauber geblieben, soweit ich gehört habe.«
»Wie steht’s mit Ihnen?«
Er senkte den Blick. »Tja, wissen Sie, nachdem Johnny weg war, bin ich in schlechte Gesellschaft geraten. Ich hielt mich für schlau, aber ich war genauso eine Niete wie alle anderen. Ein Typ hat mir bei einem anderen Ding, das wir gedreht haben, einen falschen Tip gegeben. Die Bullen haben uns erwischt, und ich wurde in die Federal Correctional Institution droben in Ashland, Kentucky, geschickt, wo ich weitere fünfzehn Monate absaß. Danach war ich ein Jahr draußen und dann wieder drin. Ich hatte nie das Geld für einen noblen Anwalt, also mußte ich mich mit meinem Schicksal abfinden. Eines kam zum anderen, und so war ich bis jetzt im Knast.«
»Sie haben über vierzig Jahre lang im Gefängnis gesessen?«
»Mehr oder weniger. Sie glauben, es gäbe keine Leute, die so lange im Knast waren? Ich hätte wesentlich früher ‘rauskommen können, aber mein Temperament hat mich immer wieder in der Gewalt gehabt, bis ich endlich herausgefunden habe, wie man sich benimmt«, sagte er. »Ich litt unter etwas, was die Docs >mangelnde Impulskontrolle< nennen. Das habe ich im Bau gelernt. So zu reden. Wenn ich damals an etwas gedacht habe, habe ich es eben getan. Ich habe aber nie jemanden umgebracht«, fügte er hastig hinzu.
»Das ist mir eine große Erleichterung«, sagte ich.
»Na ja, später im Knast schon, aber das war Notwehr.«
Ich nickte. »Aha.«
Rawson fuhr fort. »Jedenfalls, Ende der vierziger Jahre habe ich angefangen, dieser Frau namens Maria zu schreiben, die ich durch eine Anzeige für Brieffreundschaften kennengelernt hatte. Ich schaffte es einmal, auszubrechen, und das reichte uns, um zu heiraten. Sie wurde schwanger, und wir bekamen ein kleines Mädchen, das ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Viele Frauen verlieben sich in Häftlinge. Sie würden staunen.«
»Mich erstaunt nichts, was Menschen tun«, sagte ich.
»Ein anderes Mal, als ich draußen war, habe ich schließlich die Bewährungsauflagen gebrochen. Manchmal glaube ich, Johnny fühlte sich verantwortlich. Als ob ich mich, wenn er nicht gewesen wäre, nie so tief mit dem kriminellen Element eingelassen hätte. War nicht so, aber ich glaube, er hat das gedacht.«
»Möchten Sie damit sagen, daß Johnny den Kontakt über all die Jahre aus Schuldgefühlen heraus gehalten hat?«
»In erster Linie schon«, sagte er. »Und vielleicht auch, weil ich außer seiner Frau der einzige war, der wußte, daß er im Gefängnis war. Bei allen anderen tat er immer so, als wäre er etwas ganz anderes. Diese ganzen Geschichten über Birma und Claire Chennault. Das hatte er aus Büchern. Seine Kinder hielten ihn für einen Helden, aber er wußte, daß er keiner war. Bei mir konnte er er selbst sein. Unterdessen hatte ich mich in schweren Diebstahl und bewaffneten Raubüberfall verstrickt, wodurch ich schließlich ein Anrecht auf Kost und Logis auf Staatskosten erwarb. Ich habe eine Zeitlang in Lewisburg und ein Weilchen in Leavenworth gesessen, aber die meiste Zeit war ich in Atlanta inhaftiert. Das trainiert die Überlebensfähigkeiten ungemein. In Atlanta bringen sie nämlich all die kubanischen Kriminellen unter, die Castro rüberschickt, damit sie uns Gesellschaft leisten.«
»Was ist mit Maria geschehen? Sind Sie immer noch mit ihr verheiratet?«
»Nee. Sie hat sich schließlich von mir scheiden lassen, weil ich mich nicht zusammenreißen und anständig werden konnte, aber das war meine Schuld, nicht ihre. Sie ist eine gute Frau.«
»Es muß beunruhigend sein, nach vierzig Jahren wieder frei zu sein.«
Rawson zuckte die Achseln und blickte ziellos in den Raum. »Sie haben getan, was sie konnten, um mich für draußen vorzubereiten.
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