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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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fahrigen Bewegungen, die feinen Hände, das unsichere Lächeln: der ganze Mann wie aus einer Erzählung von E. T. A. Hoffmann getreten. Er wollte den Anzug kaum aus den Händen geben. Ich mußte versprechen, ihn zum Aufbügeln und Auffrischen zurückzubringen, «zum Aufleben», wie er sagte. Noch am selben Tag – dem Tag vor unserer Abreise – Herzrhythmusstörungen und eine Unpäßlichkeit, wie ich sie noch nie verspürt hatte. In der Reinigung mußte ich mich hinsetzen. Magdas Panik. Schließlich reisten wir trotzdem ab. Aber in der Nacht vor der Abreise las ich noch die etwa 28 Seiten durch, die von der
Letzten Einkehr
stehen, und war sehr glücklich. Der Plan, parallel dazu eine Lebensbeschreibung zu verfassen, erscheint mir attraktiv und ausführbar.
    17 . Oktober 2004  Sonntag in New York. Aus dem Fenster des Plaza Hotels auf die in der Sonne blitzenden Wolkenkratzer zu blicken. Gegenüber ein kleiner Platz mit Springbrunnen, unaufhörlich strömt Wasser über Marmorflächen; davor hat man jetzt eine Bühne errichtet, mit Stars-and-Stripes-Banner, die Bühne von Zeltplanen überdeckt, auf denen die drei Initialen einer amerikanischen Football-Mannschaft stehen, unter der Plane Stühle und Notenständer für ein noch unsichtbares Orchester, Scheinwerfer, riesige, noch blinde Bildschirme – Vorbereitungen für eine große Fernsehübertragungs-Zeremonie (vielleicht ein -Ritual?). Ich hatte mir vorgenommen, Kafkas
Amerika
mitzunehmen, das ich nie ordentlich zu Ende gelesen habe, habe dann aber in meiner Müdigkeit vergessen, das Buch einzupacken. – Gestern kurzer Spaziergang im Central Park, ein betrunkener Schwarzer schloß sich uns an, verlangte Geld, immer aggressiver, schließlich schubste er uns sogar; wir erschraken nicht weiter, doch es war unangenehm. Am Ende sagte er uns, wen wir ficken sollten und wie. Trotz ihrer großen Dichter und obwohl England eigentlich eine Seefahrernation ist, ist die englische Sprache in ihren Flüchen nicht gerade erfindungsreich. – Vergebens kämpfe ich gegen die körperlichen Symptome des Alters: Parkinson und Rückenschmerzen hindern mich daran, zu Fuß durch die wundervollen Straßen von New York zu streifen. Für die Unannehmlichkeiten der Jugend entschädigt uns noch das Mannesalter, aus dem Alter aber gibt es keinen Ausweg mehr.
    21 . Oktober 2004  New York. Gestern Abendessen mit Carol Janeway. Nach unserem verkorksten Berliner Treffen vor bald zwei Jahren ein großartiges, angenehmes Gespräch, wir mochten einander. Am Abend vorher im «Y» in der 92 .; voller Theatersaal, Lesung und öffentliches Gespräch. Thane Rosenbaum. Das «furchtbar Heimatliche» hält weiter an. Das rare Gefühl, diesem aufmerksamen Publikum etwas Neues sagen zu können. Zwischendurch von allen Seiten die rohe, fast brutal zu nennende Schönheit der Stadt. Auf die Frage einer Journalistin sagte ich, New York sei eines der Wunder menschlicher Schaffenskraft. So empfinde ich es wirklich. Das am Broadway gelegene Knopf-Haus ist nur nach strenger Sicherheitskontrolle zu betreten. Der Empfang, das vorherige Einreichen der Namen, Sich-Ausweisen usw.: All das erinnerte mich an die Rákosi-Welt. Ich dachte an Carols Bemerkung, die deutschen Kartelle strebten zwar nach
Weltmacht
[7] , doch der Führungsgeist folge provinziellen Familienprinzipien.
    22 . Oktober 2004  Am Nachmittag öffentliches Gespräch in der Columbia-Universität, mit Iván Sanders auf dem Podium; dankbares, aufmerksames Publikum; in Amerika – oder wenigstens New York – scheinen die Leute mich aufzunehmen, vielleicht auch meine Werke.
    24 . Oktober 2004  Nach dem kalten New York in Chicago dunstiger, warmer Frühherbst. Wir aßen in einer echten Chicagoer Kneipe einen
big hot dog
. Ungarn ist weit weg von hier. Abends Konzert mit den Chicagoer Symphonikern, danach Abendessen im Apartment der Barenboims, sie wohnen zwei Stockwerke unter uns. Jetzt ist es 5 Uhr morgens, aus dem Fenster unserer Suite im 32 . Stock sehe ich die zugleich monumentale und grazile Architektur Chicagos, aber die Straßen sind menschenleer, anders als in New York, wo der Verkehr nie stillsteht. Magda überglücklich, sie ist hier wieder zu Hause. Barenboim erwähnte erneut das Libretto. Ich erzählte ihm vom
Einsamen von Sodom
; warum auch nicht? Das Libretto würde mich nicht daran hindern, den Stoff auch als Roman zu schreiben, im Gegenteil … Ich habe jedoch Zweifel, ob wir einen guten Komponisten fänden. – Ich vergaß, von dem

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